Was Googologen denken

Google-Bashing und Google-Glorifizierung sind gerade gern betriebene Sportarten unter Internet-Interessierten. Der mächtigen Suchmaschine widmen sich derzeit viele Studien – mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen

VON TARIK AHMIA

Ist Google böse? Die Frage nach der Glaubwürdigkeit des „Do no evil“-Grundsatzes des schillernden Internet-Giganten beschäftigt mittlerweile auch Feuilletons und Fernsehmagazine. Selten von übertriebener Sachkenntnis geprägt, sind die knackigen Dreiminüter und Zeitungsartikel oft mit einem Urteil schnell zur Stelle. Google-Bashing oder Google-Glorifizierung sind dabei die beliebtesten Spielarten. Triumphierend warten Schnellanalysten mit Verdammungen auf, wenn sie den Suchdienst der Selbstlüge überführt zu haben glauben, weil dessen Suchergebnisse in China zensiert sind oder der Konzern im düsteren Ruf einer unheimlichen Datenkrake steht. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Immerhin gibt es mittlerweile eine Reihe Googologen, die sich dem Phänomen des umtriebigen Informationsbrokers in Buchform widmen. Der Erfolg, das Phänomen Google zu erklären, fällt dabei recht unterschiedlich aus.

David Vise, Reporter der Washington Post, hat für sein Buch „Die Google Story“ eine konventionelle Form gewählt: Er erzählt das Märchen vom amerikanischen Traum, diesmal besetzt mit den hochbegabten Stanford-Studenten und Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page. Visionär und mit großer Beharrlichkeit setzen die beiden in Vise’ Schilderung ihre Idee einer universellen Suchmaschine von der Garagenfirma bis zum Multimilliarden-Dollar-Konzern um. Vise schildert diesen märchenhaften Trip der Goodboys Sergey und Larry mit großer Detailkenntnis. Allerdings sollte man die Distanzlosigkeit des Autors zu den Hauptpersonen schon früh als Manko verbuchen. Denn durchweg wird klar, dass er seine Helden uneingeschränkt toll findet und kritisches Hinterfragen offenbar nicht auf seinem Aufgabenzettel stand.

Was positiv zu verzeichnen ist: Wir erfahren in der unterhaltsamen Abenteuergeschichte, wieso es Brin und Page geschafft haben, stets die Kontrolle über Google zu behalten – gegenüber millionenschweren Risikokapitalgebern. Und man erhält die Hintergründe dazu, wie es den beiden Robin Hoods gelang, eine faire Verteilung der Google-Aktien an jedermann zu sichern und damit den Wall-Street-Bankern ein Schnippchen zu schlagen.

Der zu einem Märchen verdichtete Tatsachenbericht lässt jedoch nur wenig Raum für die Analyse des Phänomens Google. Immerhin schildert Vise, dass beide Google-Gründer aus sehr bildungsorientierten Familien stammen. Geld als Wert an sich hat für die beiden akademisch geprägten Idealisten keine starke Anziehung ausgeübt. Auch die Forschungsprinzipien und die campusartige Struktur von Google orientieren sich stark an Werten und Freiheiten, wie sie an Universitäten üblich sind. So können Google-Entwickler einen Tag in der Woche für ihre eigenen Projekte verwenden. Das Nachrichtenportal „Google News“ ist eines von mehreren Produkten dieses Kreativtags. Auch über die Definition des Bösen lässt sich in dem Buch von Google-Geschäftsführer Eric Schmidt erfahren: „Böse ist, was Sergey für böse erklärt hat.“

Allerdings scheint sich David Vise kaum dafür zu interessieren, wie dieses Böse in Erscheinung treten könnte. So vermisst man in dem Buch eine Würdigung von Googles Datensammelwut oder die Google-Selbstzensur in China. Dafür erfahren wir, dass Sergey Brin gerne Sushi isst und einige Toilettensitze im kalifornischen Google-Hauptquartier sich auf sechs unterschiedliche Wärmegrade hat einstellen lassen. Auch die Analyse von Googles Erfolgsrezept fällt mir dem Verweis, Google besitze „eine beispiellose Computer-Infrastruktur“, recht dünn aus.

Allerdings geht der Verweis immerhin in die richtige Richtung. Die Gründe von Googles Erfolg sind nur wirklich zu verstehen, wenn man sich mit Googles Technologie beschäftigt. Umfassende Antworten darauf liefert die exzellente Analyse „The Google Legacy“ von Stephen Arnold. Der Autor hat ein Jahr lang Googles Patente ausgewertet und daraus eine ziemlich klare Perspektive entwickelt, wohin die Reise geht. Googles entscheidende Stärkte liegt in der Fähigkeit, gleichermaßen Software und Hardware zu entwickeln und sie überragend gut aufeinander abzustimmen. Denn komplexe Dienste wie die von Google schnell, zuverlässig und weltweit anzubieten, erfordert nicht nur schlaue Programme, sondern auch eine kaum vorstellbare Computerkapazität.

Rückgrat des Erfolges ist also das wohl leistungsstärkste Computernetz der Welt. Das Google-Netz gilt unter IT-Fachleuten als so etwas wie der Heilige Gral der Computerarchitektur. Hunderttausende preiswerte PC-Komponenten sind dort so geschickt miteinander verbunden, dass ein Supercomputer entsteht. Dessen Rechenkapazität lässt sich durch Hinzufügen weiterer PCs nahezu unbegrenzt ausbauen. Arnold schreibt, dass sich Konkurrenten wie Microsoft und Yahoo zu Recht vor diesem Know-how fürchten. Denn in Zukunft wird das Netz immer mehr die Aufgaben des PC und damit auch deren Last übernehmen. Ob E-Mail, Videos, Textverarbeitung oder Datenbanken: Das Netzwerk wird zum Computer, Programme und Daten werden immer stärker auf Servern gespeichert. Kein Unternehmen ist darauf so gut vorbereitet wie Google.

Davon ist auch John Battelle, der US-Journalist und Mitbegründer der Zeitschrift Wire, überzeugt, dessen Buch „Die Suche“ jüngst auf Deutsch erschienen ist. Mehr als in der „Google Story“ von David Vise dient Battelle die Unternehmensgeschichte Googles als Vehikel, um die kulturellen Auswirkungen und den wachsenden Einfluss der Internetsuche aufzuzeigen. Kenntnisreich beschreibt Battelle, wie sehr Suchtechnologien alle Bereiche des Lebens verändert haben. Dass diese Entwicklung erst am Anfang steht, wird nach dieser profunden Analyse über die Zukunft der Suchtechnologien klar. Abermilliarden gespeicherte Suchanfragen, die gesellschaftliche Wünsche, Ängste und Leidenschaften widerspiegeln, werden den Rohstoff für individuell maßgeschneidertes Marketing liefern.

Auch Battelle hat eine Antwort auf Google ethischen Anspruch: „Google ist weniger böse als die anderen.“ Wieso? Weil es sich Google locker leisten kann, wenig Böses zu tun, solange die Milliarden weiter sprudeln und das Unternehmen seinen technologischen Vorsprung aufrechterhält.

David Vise & Mark Malseed: „Die Google Story“. Aus dem Englischen von Friedrich Griese und Bernd Rullkötter. Murmann Verlag, Hamburg 2006, 300 Seiten, 19,90 EuroStephen E. Arnold: „The Google Legacy“. e-book, Infonortics Ltd, UK, 290 Seiten, 145 Euro, kostenloses Probekapitel unter: www.infonortics.com/publications/google/technology.pdfJohn Battelle: „Die Suche. Geschäftsleben und Kultur im Banne von Google & Co“. Aus dem Englischen von Egbert Neumüller. Börsenmedien, Kulmbach 2006, 360 Seiten, 29,90 Euro