Missionare oder Helfer?

INTERNATIONAL ASSISTANCE MISSION Über das Leben und Wirken des am Donnerstag getöteten US-amerikanischen Augenarztes Tom Little und seine Organisation

■  Der Mord an dem IAM-Hilfsteam war nicht der erste Vorfall dieser Art in Afghanistan. Im Jahr 2009 sind landesweit 19 afghanische Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet worden. Im Jahr zuvor starben sechs internationale und 25 lokale Mitarbeiter. Fünf UN-Mitarbeiter wurden bei einem Angriff auf ein Gästehaus in Kabul ermordet.

■  Dieses Jahr war die Zahl der Angriffe durch Militante auf NGO-Mitarbeiter vor der Attacke vom vergangenen Donnerstag deutlich gesunken. Auch die Zahl der Entführungen war stark zurückgegangen. Entführte waren häufig nach sechs bis acht Tagen ohne Vorbedingungen freigelassen worden. Ein Taliban-Sprecher hatte erst kürzlich erklärt, die Taliban würden für die Sicherheit von Mitarbeitern von Hilfsorganisationen in ihren Gebieten garantieren, wenn sich diese zuvor mit ihnen in Verbindung setzten. (zas)

KABUL taz | Als nach dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 Diplomaten und Entwicklungshelfer wieder in größerer Zahl nach Kabul kamen, kehrte auch Tom Little zurück. Der aus dem US-Bundesstaat New York stammende Optiker arbeitete bereits seit dem Jahr 1976 in Afghanistan. Doch Mitte 2001 hatten ihn die Taliban ausgewiesen, nachdem das Missionierungsprogramm einer anderen christlichen Hilfsorganisation aufgeflogen war. Diese Gruppe namens Shelter Now hatte Straßenkinder und arme Erwachsene zunächst mit Unterkunft und Essen versorgt, dann aber mit Hilfe von Jesusfilmen zu Christen konvertiert. Danach gerieten christliche Entwicklungshelfer wie Little unter Generalverdacht.

Little war für die 1966 gegründete International Assistance Mission (IAM) tätig. Mitte der Sechzigerjahre engagierte die damalige afghanische Regierung sie für ein Programm zur augenärztlichen Betreuung der Bevölkerung, die Nationale Organisation für augenheilkundliche Rehabilitation. Dessen englische Abkürzung Noor bedeutet in den afghanischen Sprachen „Licht“ und wurde auch der Name für die im ganzen Land bekannten inzwischen vier Noor-Augenhospitale – das Beste, was die Augenheilkunde in Afghanistan zu bieten hat.

Little, der 61 Jahre alte Spiritus Rector dieses Programms, stand für jene kleine Zahl von Entwicklungshelfern, die über Landeskenntnisse und Verbindungen zu Afghanen verfügten, die länger zurückreichen als die jener Helfer, die erst nach den ausländischen Truppen auftauchten.

Noch bekannter sind die Noor Eye Camps. Little und seine Leute zogen in entlegene Gegenden, in denen es keinerlei medizinische Versorgung gibt, oft zu Pferd oder Esel, weil keine Straßen dorthin führen. Auch die Patienten nehmen Strapazen auf sich, müssen oft lange Distanzen überwinden, Kranke und Alte auf dem Rücken tragen. In den Camps gab es Brillen, Augenleiden wurden behandelt und einfachere Operationen ausgeführt.

Das Ehepaar Little zog seine Kinder in Kabul auf. Die beiden sprachen die Landessprachen und lebten ein bescheidenes und gastfreundliches Leben – finanziert aus Spenden, meist aus den USA. Die IAM erhielt neuerdings aber auch Zuschüsse von Botschaften in Kabul, darunter denen Japans und Finnlands. Im vorigen Jahr behandelte IAM den eigenen Angaben zufolge fast 180.000 Patienten. 11.000 davon wurden operiert, um ihnen das Augenlicht zu bewahren.

Dass sowohl die Taliban als auch die zweitgrößte Rebellenorganisation, Hisb-i-Islami (Islamische Partei Afghanistans), die Morde für sich reklamierten, verdeutlicht, dass für sie inzwischen jeder Ausländer ein Ziel ist. Ob Zivilist oder Militär, jeder wird verdächtigt, unter dem Vorwand der humanitären Hilfe das Christentum zu predigen. Auch wenn es das gibt, arbeiten die meisten christlichen Hilfswerke in Afghanistan jedoch seriös. Die IAM gibt auf ihrer Webseite zwar „Vertrauen auf Gott“ als Arbeitsprinzip an, aber auch, dass sie eine internationale Vereinbarung unterschrieben hat, keine politischen oder religiösen Botschaften zu verbreiten. Little und seine Mitstreiter waren zu lange im Land tätig, als dass man ihnen so etwas unterstellen konnte.

Die Taliban wissen das. Unter den jüngst von der UN-Sanktionsliste gestrichenen fünf ehemaligen Funktionären ist einer, der eng mit Hilfswerken zu tun hatte und deren Arbeit schätzte. Und dass die IAM-Webseite die Organisation Islamic Relief als einen ihrer Spender angibt.

Aber nicht nur die Taliban gehen gegen christliche Hilfswerke vor. So schloss die Kabuler Regierung erst im Mai zwei Organisationen wegen angeblicher Missionstätigkeit, darunter die renommierte Norwegian Church Aid. Doch hier geht es weniger um weltanschauliche Konflikte, denn um eine afghanische Spielart des Populismus: Karsai will seine Hand auf jene nach unterschiedlichen Angaben 50 bis 80 Prozent von Entwicklungshilfegeldern legen, die nicht direkt an seine Verwaltung gehen, sondern an UN-Organisationen, Agenturen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, an Consulting-, Sicherheits- und andere kommerzielle Firmen sowie eben auch an nichtstaatliche Gruppen. Letztere arbeiten nicht immer im Einklang mit ihren Regierungen – siehe den deutschen Streit um die sogenannte militärisch-zivile Zusammenarbeit – und sind deshalb oft ein leichteres Ziel. THOMAS RUTTIG