Große Koalition für Haftverkürzung

In Italien stimmt eine große Koalition von Gefolgsleuten Prodis und Berlusconis für die Reduzierung von Haftstrafen um drei Jahre. Auch Wirtschaftskriminelle und Genuas Prügelpolizisten profitieren. Afghanistan-Einsatz per Vertrauensfrage verlängert

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Ein Strafnachlass für alle Insassen der überfüllten italienischen Gefängnisse, dazu die Verlängerung des italienischen Militäreinsatzes in Afghanistan: Gestern und am Donnerstag konnte die Regierung Prodi gleich zwei wichtige Abstimmungserfolge in den beiden Kammern des Parlamentes verbuchen.

Im Abgeordnetenhaus ging es um den „indulto“. Keine Amnestie - die das Verbrechen für ungeschehen erklärt - ist das, sondern ein Skonto von drei Jahren auf alle Haftstrafen mit Ausnahme von Mafia-, Terrorismus-, Vergewaltigungs- oder Pädophiliedelikten. Ziel der seit Jahren auch von großen Teilen der Linken geforderten Maßnahme ist es, die völlig überfüllten Gefängnisse zu entlasten. In den auf insgesamt 43.000 Häftlinge ausgelegten Anstalten sitzen heute knapp 62.000. 12.000 kommen jetzt frei. 40 Prozent davon sind Immigranten; neben Kleindealern und Dieben sind es oft Personen, die bloß gegen das Ausländerrecht verstoßen haben.

Das Problem beim Strafnachlass war für die Regierungskoalition, dass dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist. Berlusconis Forza Italia zeigte sich - anders als die beiden Rechtsparteien Lega Nord und Alleanza Nazionale - zwar sofort gesprächsbereit, aber um einen für die Linke hohen Preis: Die Maßnahme muss auch für alle Wirtschafts- und Korruptionsdelikte gelten, die vor dem 2. Mai 2006 begangen wurden.

So kommt Berlusconis Intimus Cesare Previti, der in Hausarrest eine fünfjährige Haftstrafe wegen Richterbestechung verbüßt, jetzt frei. Und Berlusconi selbst kann sich bei den gegen ihn noch anstehenden Prozessen über das Vorab-Skonto freuen. Billig davon kommen auch die Chefs des Parmalat-Konzerns, die einen betrügerischen Milliarden-Bankrott hinlegten, sowie Luciano Moggi von Juventus Turin und seine Mittäter im großen Fußball-Manipulations-Skandal, der Italien gerade erst erschüttert hat. Für Linke besonders bitter: Auch die Prügel-Polizisten vom G-8-Gipfel in Genua 2001, die sich in diversen Prozessen verantworten müssen, haben nichts mehr zu befürchten.

Entsprechend heftig auf das Gesetz regierte Antonio Di Pietro, früher Anti-Korruptions-Staatsanwalt in Mailand und heute Minister für Öffentliche Arbeiten unter Prodi. Er verweigerte seine Zustimmung, doch wurde das Gesetz dank der Unterstützung durch Berlusconis Forza Italia mit großer Mehrheit durchgewinkt. Während Justizminister Clemente Mastella das Gesetz im Parlament als „Gnadenakt“ verteidigte, protestierte Minister Di Pietro mit dem Megaphon in der Hand draußen auf dem Vorplatz gegen das „Schwamm-drüber-Gesetz“.

Andersherum lief gestern die Abstimmung zum Afghanistan-Einsatz im Senat. Hier wollte Prodi ausdrücklich keine große Koalition, sondern eine „eigene Mehrheit“, auch wenn die gesamte Rechte den Einsatz unterstützt. Prodi jedoch stand vor der Tatsache, dass gleich acht Senatoren der Kommunisten und Grünen ihren pazifistischen Dissens verkündet hatten. Bei acht Neinstimmen aus dem eigenen Lager hätte sich seine Regierung vorhalten lassen müssen, sie sei außenpolitisch aus eigener Kraft nicht handlungsfähig.

Prodi stellte die Vertrauensfrage. Darauf lenkten die Abweichler ein, deren Zahl sich unmittelbar vor der Abstimmung auf 16 verdoppelt hatte. Sie erklärten, „ein letztes Mal“ zuzustimmen. Bei Verlängerung der Mission in sechs Monaten sei definitiv mit ihrem Nein zu rechnen. Die gesamte Opposition dagegen blieb dem Votum fern. Prodi hatte schon vorab erklärt, er finde es „sexy, mit nur einer Stimme Mehrheit zu regieren“.

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