„Die Lehrer profitieren von der Teilung“

AZRA HIDICH Die Schülerin von „Schüler helfen Leben“ beschreibt, wem die geteilte bosnische Schule nützt

■ 19, studiert Mathematik. Bis vor Kurzem ist sie in Vitez in eine Schule gegangen, wo Kroaten und Bosniaken getrennten Unterricht besuchen. Hidich engagiert sich für eine Schule für alle.

INTERVIEW ANKE LÜBBERT

taz: Sind Sie Bosniakin oder Kroatin?

Azra Hidich: Ich bin Bosniakin.

Spielt das eine Rolle?

In Bosnien wird man über seine Ethnie definiert, ob man will oder nicht. Immerhin habe ich viele serbische und kroatische Freunde.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Nein, ist es nicht. Wenn man schon die kleinen Kinder in unterschiedliche Schulen steckt, dann kann man nicht erwarten, dass sie hinterher beste Freunde werden.

Wie funktioniert das: „Zwei Schulen unter einem Dach“?

Diese Schulen haben meistens zwei Eingänge. Im oberen Stockwerk lernt die eine, im unteren die andere Nationalität.

Gibt es unterschiedliche Lehrpläne?

Ja. Und dabei werden Unterschiede gemacht, wo keine sind. Zum Beispiel die Sprache, die die gleiche ist, aber auf der einen Seite „kroatisch“ und auf der anderen „bosnisch“ heißt. Am schlimmsten ist es aber in Geschichte.

Weil es um den Krieg geht?

Ja, weil wir uns gegenseitig die Schuld für den Krieg, für Kriegsverbrechen in die Schuhe schieben.

Wie denken die Schüler darüber? Würden sie gerne in eine gemeinsame Schule gehen?

Ich fürchte, vielen ist es egal. Manche finden es absurd und ungesund, wie ich. Aber viele bekommen auch zu Hause gesagt, dass es besser so ist, dass wir verschieden sind, dass man den anderen nicht trauen kann.

Wie kommt es, dass Sie anders denken?

Ich weiß nicht … Ich denke, es liegt an meinen Eltern.

Inwiefern?

Sie haben mir nie gesagt, dass ich jemand anderen hassen soll wegen seines Glaubens. Aber sicher liegt es auch daran, dass ich im Haus von der Organisation „Schüler helfen Leben“ Jugendlichen von anderen Ethnien begegnet bin und wir gemeinsame Seminare besucht haben.

Das war das erste Mal, dass Sie etwas mit Kroaten und Serben zusammen gemacht haben?

Ja. Ich hätte das auch vorher gekonnt. Es ist nicht verboten. Aber niemand macht es. Es gibt einfach zu viele Vorurteile.

Wie kamen Sie zu den Seminaren von „Schüler helfen Leben“?

Ich war in der Schülervertretung und wurde eingeladen.

Wie steht die Schülervertretung der jungen Bosnier und Kroaten zu den geteilten Schulen?

Wir haben eine Konferenz in unserer Schule organisiert mit Politikern aus der Stadt, Lehrern und Schülern. Es waren auch Leute von der OSZE da. Ich konnte frei reden, meine Meinung sagen. Aber es ist nichts passiert. Es profitieren einfach zu viele Menschen von diesem System.

Wer profitiert?

Zum Beispiel die Lehrer. Sie haben Arbeit, und das ist alles, was für sie zählt. Es gibt jetzt zwei Lehrer für Chemie, zwei für Physik und so weiter. Wenn man die Schulen zusammenlegen würde, wären viele arbeitslos.

Wie ist die Haltung der Politiker? Wird das Schulkonzept auch kritisch gesehen?

Die Politiker profitieren auch. Die Parteien in Bosnien sind nach Ethnien organisiert, nicht nach Inhalten. Das heißt, sie sind interessiert daran, den Hass untereinander wachzuhalten.

Was machen Sie momentan?

Zusammen mit Freunden bringen wir eine monatliche Zeitschrift heraus, sie heißt Karike, Kette. In der letzten Ausgabe habe ich über das Zwei-Schulen-Problem geschrieben.

Gab es eine Rückmeldung, einen Leserbrief zum Beispiel?

Zu diesem Artikel nicht. Keine einzige. Der Krieg in diesem Land ist seit 15 Jahren vorbei, aber manchmal denkt man, er dauert immer noch an.