Schüler kämpfen gegen geteilte Schulen

BOSNIEN Immer noch dürfen bosniakische und kroatische Kinder nicht in die gleichen Schulen gehen. Schüler wollen das ändern

VON ANKE LÜBBERT

In Mostar, Stolac, Travnik und anderen Städten in Süd- und Mittelbosnien gibt es Schulen, die nebeneinanderliegen, einen Namen tragen und doch getrennt sind. Manche haben zwei Eingänge, manche halten zu verschiedenen Zeiten Unterricht, manche trennen sogar den Schulhof mit einem Zaun.

Die Teilung ist ein Erbe des Bürgerkrieges. Gleichzeitig verhärtet sie die Fronten zwischen den sogenannten Ethnien. Denn die Kinder, die nicht zusammen zur Schule gehen, wohnen meist auch in unterschiedlichen Stadtvierteln, sie kicken bei anderen Fußballvereinen, ihre Eltern wählen Parteien, die die jeweilige Ethnie vertreten.

Äpfel und Birnen

In der Republik Bosnien und Herzegowina leben Serben, Kroaten und Bosniaken. Während die Serben in erster Linie in der relativ eigenständigen „Republika Srbska“ siedeln, teilen sich die muslimischen Bosniaken und die katholischen Kroaten viele Dörfer und Städte in der Mitte und dem Süden des Landes.

Wie wenig auch 15 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton noch geteilt und wie sehr sich abgegrenzt wird, ist an dem Konzept der „Zwei Schulen unter einem Dach“ besonders deutlich zu sehen. „Äpfel bleiben Äpfel, Birnen bleiben Birnen.“ So antwortetet Greta Kuna, die Bildungsministerin des Kantons Zentralbosniens, als sie 2007 auf das Problem der geteilten Schulen angesprochen wurde. Äpfel und Birnen solle man nicht mischen, fügte sie hinzu. Wie Greta Kuna sehen das viele Bosnier – auch Schüler.

Die Organisation „Schüler helfen Leben“, 1992 von deutschen Abiturienten gegründet, um Jugendliche im kriegsgeschüttelten Bosnien zu helfen, macht seit 2004 auf das Problem der „Zwei Schulen“ aufmerksam. Um Schüler zu erreichen, wendet sie sich an die Schülervertretungen der Schulen, organisiert Seminare und Workshops. „Wir vermeiden absichtlich das Wort ‚Versöh-nungsarbeit‘ “, sagt die 20-jährige Valeria Nieberg, die in Sarajevo bei „Schüler helfen Leben“ ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. „Wir bieten den Jugendlichen die Möglichkeit, etwas gemeinsam zu machen, eine Schülerzeitschrift zu konzipieren oder ein Konzert zu veranstalten. Gespräche entstehen dann ganz von alleine, nebenbei.“

Kürzlich hat die Organisation ihren Film „Zwei Schulen unter einem Dach“ veröffentlicht. Darin werden kommentarlos Aussagen von Politikern, Schülern und Lehrern nebeneinandergestellt – oft selbstentlarvend. Denn die Trennung ist zunächst einmal absurd. Die Ethnien sind auf den ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. Die Sprache, die als Hauptgrund für den geteilten Unterricht herhalten muss, ist so gut wie identisch. Kein Wunder, denn was heute „bosnisch“, „serbisch“ oder „kroatisch“ heißt, nannte sich bis vor 15 Jahren „serbokroatisch“ und wurde in ganz Jugoslawien gesprochen. Verschieden sind die Religionen – und die Erfahrungen im Krieg. Der vierjährige Bürgerkrieg hat eine tiefe Spaltung der Gesellschaft hinterlassen. Es gibt immer noch klare Feindbilder. Und Feind bleibt in Bosnien Feind – umso mehr, als die Kinder und Jugendlichen auch im Geschichtsunterricht nach unterschiedlichen Lehrplänen unterrichtet werden.

Die Berufung auf die verschiedenen Sprachen macht es den Verfechtern dieser Schulform die Argumentation leicht. Denn den Schutz von Minderheitenrechten sieht auch das Recht auf einen Unterricht in der eigenen Sprache vor. Unter diesem Blickwinkel betrachtet erscheinen die getrennten Schulen geradezu als Zeichen gegenseitigen Respekts.

Seinen Ursprung hat das Schulsystem in der Zeit kurz nach dem Krieg, als man den traumatisierten Eltern nicht zumuten wollte, ihre Kinder mit den Kindern der Kriegsgegner gemeinsam in die Schule zu schicken. Was für die ersten Nachkriegsjahre als Übergangslösung gut gewesen sein mag, hat sich aber längst etabliert.

Traumatisierte Eltern

Zudem ist in Bosnien jeder Kanton selbst für seine Bildungspolitik verantwortlich. Welche Lehrer angestellt werden, welche Schulbücher gekauft, welche Schule wie viel Geld bekommt – das sind in Bosnien hochpolitische Themen. Jede der Parteien versucht ihre Klientel möglichst gut zu bedienen. Die Frontlinien verlaufen dabei nicht an inhaltlichen, sondern an ethnischen Grenzen.

Im Oktober sind in Bosnien Parlamentswahlen. Nicht umsonst hat sich „Schüler helfen Leben“ die Wahlkampfzeit für ihre Filmpremiere ausgesucht. Die „Zwei Schulen“ waren zum ersten Mal Thema in den bosnischen Medien, „Schüler helfen Leben“ haben Unterstützung von der deutschen und der amerikanischen Botschaft signalisiert bekommen. Auch eine Stiftung hat sich für einen Besuch angekündigt: Die „Realize your dream“-Stiftung, gegründet von einem Enkel Martin Luther Kings. Das öffentliche Interesse kommt den Filmemachern gerade recht: „Wir wollten erreichen, dass endlich einmal öffentlich über die ‚Zwei Schulen‘ diskutiert wird“, sagt Valeria Nieberg. Die meisten Menschen in Bosnien und Herzegowina halten die Trennung der Schüler für normal. „Zwei Schulen unter einem Dach“ sind nur ein Synonym für eine tief gespaltene Gesellschaft.

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