MICHAEL STRECK über TRANSIT
: Das Lied vom Ende der Kernkraft

Ja, es ist wahr: 2006 wird in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem die Atomkraft an Hitzschlag starb

Vielleicht werden wir dereinst auf diesen irren Sommer 2006 als Zeitenwende zurückblicken, an der wir den Abschied vom Atomstrom einläuteten.

Jaja, richtig gelesen. Atomausstieg. Aber nicht nur in Deutschland, wegen der Grünen, des Koalitionsvertrags und unseres Gutmenschentums. Nein, weltweit. Irre, nicht wahr?

Schuld, oder besser der Segen, war die Hitze. Wenn Sie dieser Tage Freunde aus Kalifornien oder New York vom Flughafen abholten, blickten Sie in erlöste Gesichter: Endlich gab es wieder zuverlässig Strom aus der Steckdose. Denn seit Wochen sind da drüben Hunderttausende ohne Energieversorgung. Klimaanlagen und Kühlsysteme brummen am Anschlag. Die Netze sind überlastet. Und Atomkraftwerke müssen runtergefahren werden.

Auch die Franzosen loben ja gern ihre autarke Stromversorgung, da das ganze Land mit Atomreaktoren gepflastert ist. Schwören auf die allzeit gesicherte Grundlast, wenn Wind mal nicht weht, die Sonne nicht scheint, Öl versiegt und Russland den Gashahn zudreht. Dann kommt ein heißer Sommer daher und: aus. Sie mussten ihre Meiler abschalten oder auf halber Kraft tuckern lassen. Weil die Flüsse zu Bächen und zu warm wurden und daher nicht mehr das nötige Kühlwasser vorhanden war. Zähneknirschend baten die Franzosen dann die wegen ihrer Atomangst belächelten Deutschen, etwas Strom rüberzuschicken.

Machen wir doch gerne, sind ja schließlich brave Europäer. Doch so ganz einfach war das nicht. Denn auch bei uns im Superorganisierundinfrastrukturland mussten die Chefs der Energiekonzerne mit eingezogenen Schultern zugeben, dass selbst deutsche Hightech-Atomkraftwerke nicht für einen anständigen Sommer ausgelegt sind. Gedrosselt wurde ihre Leistung, weil – na, Sie wissen es schon.

Hatten Sie bemerkt, wie maulfaul der gute Jacques Chirac beim G-8-Treffen in St. Petersburg war, als Blair und Bush die Atomenergie als Retter der Menschheit anpriesen? Und wie schadenfroh sich unsere Kanzlerin die Hände rieb? Stand sie doch eben noch im Abseits, als Regierungschefin, deren Land als einziges unter den Industrienationen keinen Bock mehr auf Atomenergie hat und ob dieser Haltung von den anderen verspottet wurde.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte. Eigentlich sollten Atomkraftwerke uns ja vor der Klimakatastrophe bewahren. So von wegen Nullkohlendioxidausstoß. Jetzt kommt es aber genau andersherum. Der Klimawechsel war schneller. Zu heiß sind die Sommer, zu warm Flüsse und Seen. Auch solche, an deren Ufern die Atommeiler stehen, um sich mit Kühlwasser zu versorgen. Doch wenn das Wasser zu warm ist, funktioniert die Kühlung nicht mehr, und/oder die Gewässer werden weiter aufgeheizt. Das wiederum mögen Tiere und Pflanzen nicht besonders gern, es sei denn, man möchte Delphine und Palmen an der Unterelbe für Freizeitparks ansiedeln.

Vielleicht haben Sie sich schon mal gefragt, warum die Holländer so wenig Atommeiler und so viele Treibhäuser haben. Die können ja schon jetzt mit der Abwärme ihrer Kohlekraftwerke ganz Europa mit Tomaten und bald auch mit Kokosnüssen versorgen.

Oder die Schweden? Haben kaltes Wasser im Überfluss, doch nehmen es lieber für Hydrokraftwerke denn als Kühlflüssigkeit für eine Technologie der Vergangenheit.

So endet also das Atomzeitalter im Jahre 2006. Nicht, weil man immer noch nicht weiß, wohin mit dem strahlenden Müll. Nein, weil es ökonomisch einfach keinen Sinn macht, in Anlagen zu investieren, die wochenlang in der Hitze vor sich hindümpeln und keinen Cent bringen.

Es sei denn, die Atombosse kommen auf die Idee, ihre Meiler nun in Grönland, Island oder der Arktis aufzustellen. Im trügerischen Glauben, in der Kälte würde alles gut. Doch das warme Kühlwasser lässt die Gletscher noch schneller schmelzen. Dann steigt das Wasser der Ozeane noch rascher.

Ach, ein Teufelskreis.

Doch halt! Versiegt der Golfstrom, da zu viel Süßwasser den Salzgehalt der Ozeane mindert und die veränderte Dichte den Wärmeaustausch im Nordatlantik unterbricht, wird Europa wieder kälter, Hamburg so kalt wie Montreal. Sind also doch Atomkraftwerke die Lösung für den Klimawandel?

Man kommt ja wirklich durcheinander.

Fotohinweis: MICHAEL STRECK TRANSIT Energieverlust? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN