„Ich bin froh, dass ich es hinter mir habe“

VERTEIDIGER Der Bremer Anwalt Heinrich Hannover galt vielen als „Terroristen-Anwalt“. Dabei hat er vor allem Kriegsdienstverweigerer und kleine Leute verteidigt. Nun hat er eine Auswahl seiner Plädoyers herausgegeben

■ Jurist, Sachbuch- und Kinderbuchautor. Die Humboldt-Universität Berlin und die Universität Bremen verliehen ihm die Ehrendoktorwürde.Foto: PapyRossa

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: In einem Ihrer Plädoyers, nämlich für den zu Unrecht als Mörder beschuldigten Otto Becker, haben Sie gesagt: „Die Geschichte der Strafjustiz ist in erster Linie die Geschichte Ihrer Irrtümer“. Ist das auch rückblickend Ihr Fazit, Herr Hannover?

Heinrich Hannover: Ja, das kann man schon sagen – wobei es da um die Geschichte geht. Man erzählt sie natürlich von den Irrtümern. Es gibt Gott sei Dank auch richtige Urteile, aber die machen keine Geschichte, jedenfalls nicht immer.

Sie nennen in Ihrem Buch den Fall des wegen Vergewaltigung und Mordes verurteilten Otto Becker den wichtigsten Ihrer 41 Berufsjahre als Anwalt. Warum?

Es kommt selten vor, dass ein Anwalt einen Freispruch erzielt in einer Sache, die zunächst hoffnungslos aussieht. Der arme Otto Becker hatte sich ja schon um Kopf und Kragen geredet, als ich das Mandat übernahm. Er war den Vernehmungsmethoden der Kripo nicht gewachsen und die haben das rücksichtslos ausgenutzt. Und in erster Instanz wurde er denn auch als Mörder der 17-jährigen Carmen Kampa verurteilt. In so einem Fall das Glück zu haben, mit der Revision durchzukommen ...

... wegen eines Formfehlers: der falschen Besetzung der Schöffen ...Ja, das war ein Glücksfall, und ein weiterer war es, dann eine Spurenakte zu finden, die auf den wirklichen Täter hinwies – waren gleich zwei Glücksfälle, wie sie vielleicht in 100 Jahren einmal vorkommen.

Der von Ihnen Verdächtigte ist nie angeklagt worden – beschäftigt Sie so etwas auch nach Ende des Verfahrens?

Ja, das beschäftigt mich schon. Denn ich finde es empörend, dass der Sache nicht weiter nachgegangen wurde und dass sogar die Beweismittel, Sperma und Blutproben, die es ja gab, vernichtet wurden, zu einem Zeitpunkt, zu dem man hätte feststellen können, ob der Mann aus der Spurenakte 59 der Täter ist oder nicht.

Neben dem Bauarbeiter Otto Becker haben Sie prominente Linke wie Daniel Cohn-Bendit, Menschen aus dem RAF-Umfeld aber auch Hans Modrow verteidigt. Was war ausschlagend für Sie, ein Mandat anzunehmen?

Ganz allgemein kann man sagen, dass es mir darum ging, angeklagten Menschen zu einem gerechten Urteil zu verhelfen. Ein Angeklagter wie Becker wäre ohne Verteidiger verloren gewesen. In politischen Strafsachen machte es für mich natürlich einen Unterschied, ob es um die Widerlegung von falschen Zeugenaussagen, also eine klassische Verteidigeraufgabe, ging, oder ob von mir erwartet wurde, dass ich auch die Sache verteidigte.

Warum haben Sie das Mandat für Ulrike Meinhof abgelehnt?

Ich habe sie anwaltlich vertreten, solange sie in Untersuchungshaft war und das war wegen mörderischer Haftbedingungen im Toten Trakt der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf auch sehr nötig. Wir kannten uns persönlich über ihre Arbeit bei der Zeitschrift konkret, so dass es auch eine menschliche Pflicht war. Aber eine Vertretung in der Hauptverhandlung kam für mich nicht in Frage, weil unsere rechtlichen und politischen Ansichten zu weit auseinandergingen. Ich bin aus dem Kriege als Pazifist zurückgekommen, von daher ist mir Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung unter Menschen absolut widerlich. Ich habe mit Ulrike heftig gestritten über die Frage, ob es sinnvoll und vertretbar ist, eine Änderung der Gesellschaft über individuellen Terror anzustreben. Das halte ich für völlig unsinnig und unvertretbar.

Das RAF-Mitglied Astrid Proll haben Sie verteidigt.

Im Fall Astrid Proll ging es nicht um die Verteidigung der Ideologie und Praxis der RAF, sondern um die Widerlegung falscher Polizeiaussagen. Es ist dann ja auch gelungen, die Lügen, auf denen die Anklage beruhte, aufzudecken und einen Freispruch herbeizuführen.

In einem anderen RAF-Prozess – im Buch nennen Sie den Angeklagten nur N.N. – scheinen Sie noch heute davon enttäuscht, dass der Betreffende Ihnen gegenüber seine Mitwirkung an der Schleyer-Entführung verschwiegen hat. Gleichzeitig betonen Sie, dass jeder Mandant das Recht habe, zu lügen.

Grundsätzlich braucht ein Mandant, der einen Anwalt in einer Strafsache aufsucht, ihm nicht die volle Wahrheit zu sagen. Aber hier war es so, dass ich das Mandat davon abhängig machte, dass er wirklich nicht an Mordtaten beteiligt war. Es gab damals von maßgebenden Politikern die Zusage, dass Aussteiger aus der RAF einen fairen Prozess zu erwarten hätten, aber das konnte natürlich nur für Angeklagte gelten, die nicht des Mordes schuldig geworden waren. Zur Mitwirkung an einem fairen Prozess war ich bereit, aber den Belastungen eines „Terroristenverfahrens“, bei dem, wie ich wusste, auch die Verteidiger fix und fertig gemacht wurden, wollte ich mich nicht aussetzen. Die Lügen dieses Mandanten brachten mir dann Erfahrungen mit Stammheimer Verfahrenspraktiken ein.

Wie sahen die aus?

Dazu gehörte beispielsweise, dass die Bundesanwaltschaft ein wichtiges Beweismittel, bei dessen Kenntnis ich das Mandat nicht übernommen hätte, erst im neunten Prozessmonat vorlegte. Ein eklatanter Verstoß gegen die Prinzipien eines fairen Verfahrens. Der Verteidiger muss von Anfang an den vollen Akteninhalt kennen.

Sie standen wegen Äußerungen in solchen Prozessen vor dem Ehrengericht, also dem Standesgericht der Anwälte. Hat Sie das getroffen?

Das war sehr lästig und zeitraubend. Es ging ausschließlich um Meinungsäußerungen im weitesten Sinne, wozu nicht nur Sätze wie „Klassenjustiz stolpert nicht über die juristischen Zwirnsfäden der Strafprozeßordnung“, sondern auch das Zuschlagen von Gerichtstüren gehörte. Obwohl ich von Otto Schily und Ulrich Preuß engagiert verteidigt wurde, wurde ich zu einer Geldbuße von 3.000 DM verurteilt. Ich habe der Anwaltskammer mitgeteilt, dass ich mich weigerte, diese Buße zu zahlen, sie sollten sich schämen, gegen einen Kollegen eine Buße für die Wahrnehmung der anwaltlichen Redefreiheit zu verhängen, sie könnten mir ja einen Gerichtsvollzieher schicken. Sie haben dann mein Bankkonto gepfändet. Als die Bundesanwaltschaft nach dem Stammheimer Prozess gegen N.N. versuchte, mir noch ein Ehrengerichtsverfahren anzuhängen, hat die Anwaltskammer mich allerdings in Schutz genommen.

In Ihren Plädoyers geht es immer wieder um die ausgebliebene Aufarbeitung der NS-Justiz – spielte es da eine Rolle, dass Sie selbst als 17-Jähriger NSDAP-Mitglied wurden, im Krieg dann zum Pazifisten wurden?

Ich habe nach dem Ende der Nazizeit einen völligen Neuanfang für mein Leben und mein Bewusstsein erfahren, den offenbar viele nicht so erlebt haben. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazis ist für mich ein Lebensthema geworden.

In mehreren Prozessen haben Sie kritisiert, dass Polizisten von Gerichten per se eine besondere Glaubwürdigkeit als Zeugen zugesprochen wurde – diese aber logen. Gilt das noch heute?

Ich habe immer noch den Eindruck, dass viele Richter sich sehr schwer damit tun, die Aussagen von Polizisten so zu gewichten, wie sie es verdienen. Ich habe oft genug erlebt, dass Polizisten in Dienstbesprechungen auf ihre Aussage vorbereitet worden sind, dass man ihre Berichte kritisch gegengelesen und verändert hat.

Vermissen Sie als Ruheständler Ihre Tätigkeit als Anwalt?

„Ich habe wohl im Laufe meiner Anwaltschaft die Bundeswehr einen Panzer gekostet“

Nein, absolut nicht, ich bin froh, dass ich sie hinter mir habe. Und ich bin froh, dass ich mir nachträglich alles von der Seele schreiben konnte.

Sie schreiben auch Kinderbücher – diente das als Ausgleich zu Ihrer Anwaltstätigkeit?

Ich war als Vater von sechs Kindern gefordert, mir Geschichten auszudenken. Und schrieb einige davon auf. Die sind dann zufällig von einer Literaturagentin entdeckt worden. Die Geschichten haben mir manchmal auch bei der Justiz geholfen, wenn es Richter gab, die wussten, dass ich Kinderbücher schreibe, dann war das Klima besser. Einmal habe ich erlebt, dass nach einem Prozess, bei dem ich gegen den Widerstand des Vorsitzenden Richters einen Freispruch erzielt habe, der offenbar von den beiden Schöffinnen herbeigeführt worden ist, die eine Schöffin mit dem „Pferd Huppdiwupp“ vor der Gerichtstür stand und mich um ein Autogramm bat.

Haben die Richter Sie gemeinhin eher mit den sogenannten Terroristenprozessen in Verbindung gebracht?

Manche wussten von mir nichts mehr als: Der hat Terroristen verteidigt. Man hätte genau hingucken müssen, wen ich da verteidigt habe und wen nicht, und diese Mühe haben sich manche Richter nicht gemacht.

Hat dieser Ruf Sie Ihr ganzes Berufsleben lang begleitet?

Zu Beginn meiner Praxis galt ich bei vielen als „Kommunistenanwalt“, später als „Terroristenverteidiger“. Zu diesem Ruf hat insbesondere eine jahrelange Pressekampagne der Bild-Zeitung und anderer Medien geführt. Viele, denen das jahrelang in die Ohren geblasen worden ist, wissen nicht, was ich wirklich gemacht habe.

Nämlich?

Unter anderem habe ich mehrere Tausend Kriegsdienstverweigerer vertreten bei Verwaltungsgerichten. Das hat dazu beigetragen, dass meine Praxis finanziell überleben konnte. Denn die Prozesse habe ich in der Regel gewonnen und dann zahlt die unterlegene Seite, hier die Bundeswehr, die gesamten Prozesskosten. Ich habe wohl im Laufe meiner Anwaltschaft die Bundeswehr einen kleinen Panzer gekostet.

Heinrich Hannover, Reden vor Gericht. Plädoyers in Text und Ton. PapyRossa Verlag, 22 Euro, ab Ende August im Handel erhältlich.