Schweizer Votum verschlägt Brüssel die Sprache

DIPLOMATIE Die EU tut sich schwer mit einer Reaktion auf die Volksabstimmung – sie hatte felsenfest mit einer Niederlage der Initiative gerechnet

„Gibt es Quoten für Menschen, muss es auch Quoten für die Bankgeschäfte geben“

DANIEL COHN-BENDIT (GRÜNE)

BRÜSSEL/GENF taz | Das Votum in der Schweiz hat die EU kalt erwischt. „Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen“, warnte der Chef des auswärtigen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok (CDU). Ich „bedaure das Ergebnis, aber ich akzeptiere auch die demokratische Entscheidung“, zog Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) nach. Ganz anders der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit: „Gibt es Quoten für Menschen, muss es auch Quoten für die Geschäfte der Schweizer Banken und die Exporte der Schweizer Wirtschaft geben.“

Stimmt – so wollen es nämlich die EU-Regeln des Binnenmarkts. Doch wer nun glaubte, dass die EU-Kommission – die „Hüterin der Verträge“ – sofort kraftvoll zurückschlagen würde, sah sich getäuscht. Kommissionschef José Manuel Barroso betonte zwar in mehreren Statements die Bedeutung der Freizügigkeit, zu der sich auch die Schweiz bekannt habe. Doch vor Konsequenzen, Sanktionen gar, zuckte er zurück. „Ich will nicht spekulieren, wir müssen erst die nächsten Schritte klären“, redete sich seine Chefsprecherin heraus. Eine entschiedene Reaktion sieht anders aus.

Das gilt auch für die EU-Außenminister, die sich gestern in Brüssel trafen. Am härtesten reagierte noch der Franzose Laurent Fabius: Nun müsse man die Beziehungen zur Schweiz überprüfen, sagte er. Sein britischer Kollege William Hague gab sich hingegen konziliant: „Es muss nun Verhandlungen darüber geben, was dies in der Praxis bedeutet“, sagte er. Allerdings habe man „eine Menge Zeit“ – die Umsetzung des Volksentscheids kann bis zu drei Jahre dauern. Ähnlich schwammig fiel die deutsche Reaktion aus. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach überhaupt nicht von Konsequenzen, sondern sagte nur, dass sich die Schweiz „selbst geschadet“ habe. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekundete sogar ein gewisses Verständnis für die Abschottungs-Initiative. Offenbar schielt er schon auf die AfD – und auf die Europawahl im Mai. Die AfD will auf der Schweizer Welle mitschwimmen und ebenfalls Quoten für Einwanderer fordern.

Die Überraschung in den europäischen Hauptstädten dürfte auch daher rühren, dass der EU-Botschafter in Bern und seine AmtskollegInnen aus Deutschland und den anderen EU-Staaten die schon 2011 von der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) lancierte Initiative gegen „Masseneinwanderung“ von Beginn an unterschätzt haben.

Dabei gab es schon früh deutliche Anzeichen für eine Zunahme von Ausländerfeindlichkeit – auch jenseits des SVP-Milieus. So stoppte etwa die Uni Zürich im März 2013 die Besetzung einer Medienprofessur, nachdem der lokale Tages-Anzeiger voller Falschbehauptungen über die angebliche Bevorzugung deutscher BewerberInnen berichtete – und eine Flut von Hassmails an Bewerber auslöste.

Selbst nachdem die letzte Meinungsumfrage eine ungewöhnliche Trendwende zu Gunsten der Initiative signalisierte, gaben sich die europäischen Diplomaten in Bern gelassen. Man verlasse sich darauf, „dass die Eidgenossen ihre wirtschaftlichen Vorteile aus den bilateralen Verträgen nicht gefährden werden“, erklärte der Botschafter eines großen EU-Landes Anfang Februar. Den Sieg der Volksinitiative hielt er da noch für „ausgeschlossen“. E. BONSE, A. ZUMACH