Die haben doch ein Rad ab

SCHROTT Angeschlossen und nie abgeholt: An vielen Ecken Berlins warten verlassene Radleichen darauf, gefleddert zu werden. Doch wem gehören sie? Dieses Rätsel macht die Entsorgung zu einer komplizierten Prozedur

„Selbst wenn nur noch der Rahmen übrig ist, gibt es irgendwo einen Besitzer“

BSR-SPRECHERIN SABINE THÜMLER

VON FLORIAN THALMANN

Ein einstmals blauer, jetzt rostiger Rahmen ohne Räder, Klingel und Licht, angekettet an einem Verkehrsschild. Daneben ein einzelnes Laufrad, gesichert mit einem schweren Fahrradschloss: Ein Bild wie an der U-Bahn-Station Tierpark bietet sich an vielen Ecken in Berlin. Fahrräder werden abgestellt, mit Schlössern an Laternenmasten oder Zäunen angebunden – und nie wieder abgeholt. „Schwer nachvollziehbar“ findet das Arvid Krenz, der Fahrradbeauftragte des Senats. Über die Herkunft könne man nur mutmaßen. Diebstahl sei nicht ausgeschlossen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele dieser Räder irgendwo entwendet und später abgestellt wurden“, sagt Krenz.

Zu gebrauchen sind die Radleichen meist nicht mehr, oft fehlen einzelne Teile, manchmal sogar fast alles. Doch die Beseitigung ist nicht ganz einfach. „Wir können die Räder nicht einfach entsorgen“, sagt Sabine Thümler, Sprecherin der Berliner Stadtreinigung (BSR). „Selbst wenn nur noch der Rahmen vom eigentlichen Fahrrad übrig und dieser an einem Laternenmast festgekettet ist, gibt es irgendwo einen Besitzer.“ Die Bezirksämter selbst seien für die Abwicklung des Fahrradschrotts zuständig. „Wir bekommen nur die Entsorgungsaufträge“, so Thümler. Eine einheitliche Regelung gebe es nicht, die BSR werde auch nicht in allen Bezirken für die Entfernung des Schrotts eingesetzt, so Thümler.

Im Bezirk Mitte schon. Dort wird „das Problem mit zunehmender Zahl von Radfahrern größer“, teilt Bezirksamtsprecherin Karin Grunz mit. Sogar „Brennpunkte“ seien in Mitte bekannt – besonders an den Bahnhöfen der S- und U-Bahn fallen immer wieder verlassene Fahrräder auf. „Wir registrieren die vom Außendienst oder von Bürgern mitgeteilten Fahrradleichen“, berichtet Grunz. „Bei angeschlossenen Rädern wird nach sechs Monaten geprüft, ob diese noch am angegebenen Ort stehen.“ Nach dieser Zeit sei weitgehend sichergestellt, dass das Eigentum am Rad aufgegeben worden sei. Bisher habe auch noch nie ein Besitzer sein Ruinenrad als vermisst gemeldet. Rund 150 Räder würden in Mitte pro Jahr entsorgt.

Ganz anders in Friedrichshain-Kreuzberg: „Wir arbeiten mit dem Gelbpunktverfahren“, erklärt Joachim Wenz, der Leiter des zuständigen Ordnungsamtes. Scheinbar herrenlose Fahrräder werden mit einem gelben Punkt gekennzeichnet – und ein Zettel mit der Aufforderung angehängt, das Rad innerhalb von zwei Monaten zu entfernen. „Nach Ablauf der Frist werden die Räder freigegeben“, so Wenz. Aber nicht zur Entsorgung.

Der agens e. V., ein gemeinnütziger Verein, der Arbeitssuchenden so die Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlich geförderter Beschäftigung gibt, nimmt sich der Wracks an. „Die Räder verbleiben noch für eine Woche unberührt in unserem Bestand – falls sich der Besitzer doch noch beim Bezirksamt meldet“, sagt Marion Krüger, Projektleiterin bei agens. Dann werden die Fahrräder in Werkstätten von neun Mitarbeitern wieder fahrtüchtig gemacht.

„Die Fahrräder, die wir von der Straße holen, sind wirklich nur noch Wracks“, so Krüger. Nur ein Drittel sei für die Komplettverwertung geeignet, von einem Drittel könnten nur einzelne Teile recycelt werden. Der Rest lande auf dem Schrott. „Bedürftige Personen aus den Bezirken können sich die bearbeiteten Räder später abholen.“ Mit jedem Rad wird außerdem ein Beleg ausgehändigt, um spätere Anzeigen wegen Diebstahls zu vermeiden. 2009 habe der Verein in Friedrichshain-Kreuzberg rund 200 Räder von der Straße geholt.

Die Gründe für das Auftauchen herrenloser Räder sind jedoch auch hier nicht auszumachen. „Ich denke, es spielt auch oft Vandalismus eine Rolle. Jemand lässt sein Fahrrad irgendwo stehen, findet es später demoliert vor und gibt es auf“, so Ordnungsamtleiter Wenz. „Wir finden pro Jahr zwischen 50 und 70 Räder.“ Eine Ordnungswidrigkeit liege im Allgemeinen nicht vor – „nur dann, wenn das Rad eine Gefahrensituation darstellt, also beispielsweise einen Fußweg komplett blockiert“. Das komme aber selten vor.

In Lichtenberg sei der Fahrradschrott hingegen kein großes Problem, sagt Carmen Weber, eine Sprecherin des Bezirksamtes. Warum? „Vielleicht liegt es daran, dass Lichtenberg nicht so ein ausgeprägter Szenebezirk ist.“ Nur gelegentlich tauche mal ein Fahrrad auf, „insgesamt sind es pro Jahr ungefähr 15 Räder“. Der Schrott werde entweder bei Begehungen durch die Mitarbeiter des Amtes entdeckt oder von Bürgern gemeldet. „Nach dem Entdecken eines Rads wird es über einen Zeitraum von ungefähr zwei Monaten beobachtet“, so Weber. Danach wird auch hier der Verein agens mit Abholung und Aufwertung der Räder beauftragt.

Außerdem werden die Rahmennummern der entdeckten Fahrräder der Polizei mitgeteilt: „Die Nummern werden abgeglichen, um bei Diebstahl den rechtmäßigen Besitzern ihre Fahrräder zurückgeben zu können“, informiert das Landespolizeipräsidium Berlin.

Doch meist bleiben die ursprünglichen Besitzer der Fahrradleichen verschollen – eine Verschwendung von Geld, Material und Arbeitszeit. Der Fahrradbeauftragte kann da eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. „Ich selbst würde mein Rad nicht einfach so irgendwo stehen lassen.“