Urteil des Wahlgerichts in Mexiko

Die Richter lehnen eine vollständige Neuauszählung der Stimmen der Präsidentschaftswahl ab. López Obrador fordert Anhänger zu weiteren Protesten auf

Am 6. September muss das Wahlgericht den neuen Präsidenten bekannt geben

MEXIKO-STADT taz ■ Trotz einer Gerichtsentscheidung für eine teilweise Neuauszählung der Stimmen kehrt im Streit um die mexikanische Präsidentschaftswahl vom 2. Juli keine Ruhe ein. Der nach bisherigem Ergebnis unterlegene Kandidat Andrés Manuel López Obrador hat am Samstag seine Anhänger zu weiteren Protestaktionen aufgerufen. Nach dem bisherigen offiziellen Endergebnis erhielt López Obrador bei der Wahl 244.000 Stimmen oder 0,58 Prozentpunkte weniger als der rechtskonservative Felipe Calderón von der Regierungspartei PAN.

Das Bundeswahlgericht hatte am Samstag beschlossen, dass die Urnen von neun Prozent der Wahllokale noch einmal ausgezählt werden. Der gemäßigt linke López Obrador und seine Partei der Demokratischen Revolution (PRD) fordern jedoch weiterhin, dass alle Stimmzettel erneut überprüft werden. „Stimme für Stimme, Wahllokal für Wahllokal“, skandierten denn auch zahlreiche Sympathisanten des PRD-Politikers, nachdem die Richter ihre Entscheidung bekannt gegeben hatten. Die Aktivistinnen und Aktivisten haben seit Anfang vergangener Woche mit einem ausgedehnten Zeltlager das Zentrum von Mexiko-Stadt lahmgelegt, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Für gestern war eine Großdemonstration geplant.

Die PRD geht davon aus, dass sich der konservative Kandidat Felipe Calderón bei den Präsidentschaftswahlen nur durch einen Wahlbetrug gegen López Obrador durchsetzen konnte. Deshalb hatte die Partei vor dem Wahlgericht geklagt. In etwa 72.000 der insgesamt 130.000 Wahllokale habe es Unregelmäßigkeiten gegeben, kritisiert die PRD und fordert eine vollständige Neuauszählung der Stimmen. Die PRD hatte einen 836 Seiten umfassenden Katalog zu angeblichen Unregelmäßigkeiten vorgelegt, außerdem Videoaufnahmen und andere Beweise. Insgesamt wurden 175 Fälle aufgelistet.

Dem erteilten die Richter am Samstag eine deutliche Absage. Die von der PRD eingereichten Vorwürfe seien dafür nicht ausreichend, die Wahl sei gewissenhaft durchgeführt worden. Zugleich ordnete das Gericht aber die Überprüfung der Urnen aus knapp 12.000 Wahllokalen an, wo es am Wahltag Probleme gegeben hatte.

Damit will sich López Obrador nicht zufrieden geben. „Warum sollen nur 9 Prozent der Lokale überprüft werden, wenn doch in 62 Prozent die gleichen Fehler und Merkmale auftauchen?“, rief er seinen Anhängern zu. Es sei also nötig, an den Protestcamps festzuhalten. „Gehen wir oder bleiben wir?“, fragte er die Männer und Frauen auf einer Kundgebung in der Hauptstadt, und die Antwort war eindeutig: „Wir bleiben!“

Das Zeltlager, das sich vom Zentrum zehn Kilometer entlang der Prachtstraße Paseo de la Reforma zieht, hat am vergangenen Wochenende zunehmend einen Happening-Charakter angenommen. Zigtausende vornehmlich ärmere Menschen vergnügten sich bei den Konzerten, in spontan eingerichteten Kinos oder bei Aufführungen von Straßentheatergruppen. PRD-Mitglieder aus allen 31 Bundesstaaten sowie den Delegationen der Hauptstadt haben sich trotz heftigen Regens in Zelten niedergelassen. Sie machen mit Flugblättern, Veranstaltungen und Unterschriftenlisten für eine Neuauszählung mobil.

Calderón sowie seine Partei der Nationalen Aktion (PAN) wirft López Obrador indes vor, die Stadt „entführt“ zu haben, Unternehmerverbände sprechen von Millionenverlusten und das durch die Blockade verursachte Verkehrschaos in der Megametropole stößt nicht nur bei ausgemachten PRD-Gegnern auf Verärgerung. Der mexikanische Präsident Vicente Fox (PAN) warnte López Obrador, er solle nicht mit dem Feuer spielen. Aus Furcht vor weiteren Aktionen im Rahmen des von López Obrador ausgerufenen „friedlichen Widerstands“ wurde auch die Präsenz von Polizeibeamten am Internationalen Flughafen massiv verstärkt. In der Hauptstadt selbst können die Aktivisten auf die Unterstützung der PRD-Lokalregierung bauen.

Die begrenzte Nachzählung wird in den nächsten Tagen stattfinden. Sollten sich daraus neue Erkenntnisse ergeben, könnten auch weitere Maßnahmen folgen. Da Calderón nur mit einem sehr knappen Vorsprung vor López Obrador gewonnen hatte, könnte bereits eine kleine Korrektur das Ergebnis zugunsten des PRD-Politikers verändern. Viel Zeit bleibt den Richtern allerdings nicht mehr: Spätestens am 6. September muss das Wahlgericht den Namen des neuen Präsidenten bekannt geben – oder die Wahl annullieren.

WOLF DIETER VOGEL