Militärisch kaum zu besiegen

Die Kampfkraft der Hisbollah ist bislang ungebrochen. Um die Milizenarmee nachhaltig zu schwächen, muss der Nachschub aus Syrien und dem Iran unterbunden werden

Drei Wochen dauert der Krieg im Libanon, und noch immer hat die schlagkräftigste Armee des Nahen Ostens keine substanziellen Erfolge im Kampf gegen die Hisbollah-Guerilla aufzuweisen. Täglich schießt sie dutzende Raketen auf nordisraelische Städte ab. Der Widerstand in den Dörfern im Südlibanon ist weit stärker, als die israelische Armee zunächst erwartet hatte. Um zwei Dörfer zu erobern, mussten israelische Bodentruppen tagelang Häuserkämpfe führen und erhebliche Verluste einstecken.

Woher kommt diese erstaunliche militärische Stärke einer Guerilla, die im Kern nicht mehr als rund 1.000 Mann umfassen soll und darüber hinaus angeblich nur noch weitere 8.000 Kämpfer aus der Bevölkerung mobilisiert? „Die israelische Armee hat die Hisbollah völlig unterschätzt und eine falsche Kriegsführung gewählt“, meint Professor Berthold Meyer, der mit der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung zusammenarbeitet und sich intensiv mit dem Libanon befasst hat. „Wie jedes demokratische Land haben die Israelis versucht, zunächst eigene Verluste zu vermeiden. Daher wurde der Krieg überwiegend aus der Luft geführt, wobei viele libanesische Zivilisten starben. Mit dieser Kriegsführung konnte man allerdings auch die Bunkeranlagen und Tunnel, die die Hisbollah in den sechs Jahren seit dem Abzug der Israelis angelegt haben, nicht zerstören. Die Hisbollah wurde dadurch in ihrem Aktionsradius kaum eingeengt.“

Der Beweis dafür: Trotz intensiver Bombardierung des gesamten Südlibanons gelang es der Hisbollah immer wieder, Raketen auf Israel zu feuern. Die meisten Raketen sind so genannte Katjuschas, eine moderne Version der Stalinorgel. Auf Geländewagen montiert, sind sie sehr mobil und leicht zu verstecken. Gegen diese Geschosse gibt es auch keine Raketenabwehr, weil sie sehr niedrig fliegen und die Flugzeit sehr kurz ist.

Der Vorteil für die Hisbollah ist gewesen, den Zeitpunkt des Konflikts bestimmt zu haben und daher bestens vorbereitet gewesen zu sein. Erstaunlich bleibt, dass der israelische Geheimdienst Mossad so schlecht über die Kriegsvorbereitungen der Hisbollah informiert war. „Seit dem israelischen Abzug aus dem Südlibanon vor sechs Jahren hat der Mossad offenbar nicht mehr verfolgen können, was die Hisbollah dort treibt“, sagt Meyer. Sonst hätte man von Beginn an verstärkt Bodentruppen einsetzen müssen, was die israelische Führung nach drei Wochen vergeblicher Bombardements nun auch tut. „Mit dem Einsatz sehr vieler Soldaten und dem Risiko hoher eigener Verluste wird es der israelischen Armee in einigen Wochen wahrscheinlich gelingen, die Stellungen der Hisbollah südlich des Flusses Litani zu zerstören. Aber was haben sie davon? Die Hisbollah wird ihre Raketen dann eben über die neu zu schaffende Pufferzone hinweg abschießen.“

Der Schlüssel zu einem israelischen Erfolg ist für Meyer deshalb, den Nachschub der Hisbollah zu unterbinden. Nach israelischen Geheimdienstquellen soll die Hisbollah zu Beginn des Krieges über rund 13.000 Katjuscha-Raketen und eine unbekannte Anzahl weiterreichender Raketen iranischer Bauart verfügen. Offenbar ist der Guerilla ihr Raketenvorrat bislang aber nicht ausgegangen. Laut Meyer gibt es zwar keinen hundertprozentigen Beweis, dass die weiterreichenden Raketen der Hisbollah, die auch Haifa getroffen haben, tatsächlich Raketen aus dem Iran sind, allerdings spreche alles dafür. In einem Fall, der von westlichen Militärs mit großer Aufmerksamkeit registriert wurde, ist zudem die iranische Herkunft unzweifelhaft. Jene Rakete, die gleich zu Beginn des Konflikts von Beirut aus auf ein israelisches Kriegsschiff abgefeuert wurde, war ein Marschflugkörper vom Typ C-802 – die iranische Weiterentwicklung eines chinesischen Typs, den der Iran Hisbollah wahrscheinlich zur Verfügung gestellt hat, damit Israel und die USA sehen, dass die iranische Armee bestimmt in der Lage ist, im Konfliktfall den Schiffsverkehr und damit den weltweiten Ölhandel in der Straße von Hormus zu unterbinden.

„Aber auch der übrige Nachschub der Hisbollah“, so Meyer, „kann ja nur über Syrien kommen, und Syrien und Iran arbeiten bei der Unterstützung der Hisbollah eng zusammen.“ Meyer plädiert deshalb dafür, Syrien möglichst früher als später in Gespräche über eine Waffenruhe und einen Friedensschluss an der Nordgrenze Israels mit einzubeziehen. „Israel muss den Golan wieder ins Spiel bringen, je schneller, je besser.“

JÜRGEN GOTTSCHLICH