NS-Opfer aufs Schild gehoben

MEDIA-SPREE Straße vor Mercedes-Zentrale nach Zwangsarbeiterin benannt

Helmuth Bauer – grauhaarig, mit Schal und Basecap – steht auf einer kleinen Leiter vor einem verhüllten Straßenschild. Mit einem Ruck zieht er das Tuch zur Seite und streckt die Faust in den Himmel: „Edith-Kiss-Straße“ prangt in schwarzen Lettern auf dem Schild direkt neben der neuen 13-stöckigen Vertriebszentrale von Mercedes-Benz im Mediaspree-Gebiet in Friedrichshain. Nach langem Hin und Her wurde die Straße am Donnerstagabend nach der jüdisch-ungarischen Malerin und Bildhauerin benannt. Kiss musste sich gegen Bertha Benz durchsetzen, die Ehefrau des Unternehmensgründers Carl Benz. Letztere hatte sich das Unternehmen gewünscht. Doch der Bezirk setzte seinen Vorschlag durch.

Das Schicksal der damals 39-jährigen Edith Kiss verband sich 1944 mit dem Konzern Mercedes-Benz: Zusammen mit ihrer Freundin Ágnes Bartha war sie ins KZ Ravensbrück deportiert worden. Dort zwangen sie die Nazis, für Mercedes in Genshagen bei Berlin Flugzeugmotoren zu montieren.

Bauer ist Kiss’ Biograf und einer der Hauptredner bei der Straßenbenennung. 50 Zuschauer lauschen bedächtig seinen Worten. Bauer erinnerte an die Malerin und die 1.100 weiteren Frauen im KZ Ravensbrück. Er schont die Zuhörer nicht. Und er lässt Kiss am Ende selbst zu Wort kommen: „Ich bin eine alte, einsame, kranke Frau“, zitiert er aus ihrem Abschiedsbrief, den sie vor ihrem Selbstmord 1966 schrieb.

Auch Ágnes Bartha war bei der Umbenennung vor Ort – per Videobotschaft aus Ungarn. „Leider konnte sie den Weg, den wir erleiden mussten, nicht verarbeiten“, bedauerte die 92-Jährige. Bartha zeigte sich glücklich darüber, dass Kiss nun nicht mehr nur eine Nummer wie im KZ sei, sondern auch sie als Person gewürdigt werde. SASCHA FRISCHMUTH