Ribbecks Birnenessig aus Ribbeck im Havelland

BRANDENBURG Mithilfe von Fontanes Ballade hat sich das Bilderbuchdorf Ribbeck im Havelland zu einer touristischen Marke entwickelt. Das kleine brandenburgische Dorf stillt Sehnsüchte nach einer imaginären alten Zeit

Das Schloss Ribbeck, Theodor-Fontane-Str. 10, Tel. (03 32 37) 8 59 00, www.ribbeck-havelland.de, ist von 10 bis 17 Uhr geöffnet (im Mai ist montags geschlossen), das Restaurant öffnet von 11 bis 21 Uhr. Weitere Informationen bei Havelland Tourismus, Tel. (0 33 85) 5 19 00, www.havelland-tourismus.de

VON ULRIKE WIEBRECHT

Es sind nur ein paar Gedichtzeilen. Aber diese Zeilen bewirken, dass unzählige Touristen ins Havelland strömen. Vor allem in eine 350-Seelen-Gemeinde namens Ribbeck, die an der B5 von Berlin nach Hamburg liegt. Eine Dorfkirche aus dem 14. Jahrhundert, ein stattliches Herrenhaus, eine grüne Wiese mit Feuerlöschteich, drum herum ein paar Backsteinhäuser: Gewiss, es ist hübsch anzusehen, und es spricht nichts dagegen, sich hier ein bisschen umzusehen, wenn man beispielsweise auf dem Havelland-Radweg unterwegs ist. Doch in den Nachbarorten sieht es auch nicht viel anders aus. Auch Berge hat eine hübsche Kirche von 1744, in Pessin steht das Herrenhaus derer von Knoblauch, in Senzke das Schloss der Bredows. Aber Ribbeck ist eben Ribbeck – durch Fontanes Ballade wurde das Dorf zum Mythos

Dabei wurden die Neugierigen, die vor fünfzehn Jahren hierherkamen, tief enttäuscht. Freudlos und grau wirkte die Häuseransammlung damals. Der Birnbaum war mickrig, die Kirche baufällig, von der Fassade des Ribbeck’schen Herrenhauses, in dem sich lange Zeit ein Altersheim befand, bröckelte der Putz. Daran änderte auch der Fall der Mauer zunächst nichts.

Besitzstreitigkeiten beherrschten die Atmosphäre, einige Dorfbewohner fürchteten gar, nach der Wende würden wohlhabende Zugereiste wieder feudalähnliche Verhältnisse einführen.

„Als sie anrückten von Osten aus dem westlichen Berlin mit drei Omnibussen und rot und weiß und blau lackierten Autos, aus denen Musik hämmerte, lauter als die starken Motoren, und mit den breitachsigen, herrischen Fahrzeugen das Dorf besetzten, wie es seit den russischen Panzern, dem Luftwaffengebell und den Ribbeck’schen Jagdfesten nicht mehr besetzt war“, so beschreibt der Schriftsteller Friedrich Christian Delius in seiner Erzählung „Die Birnen von Ribbeck“ die Stimmung zu Beginn der neunziger Jahre.

Noch schien der Geist der DDR-Zeit nachzuwirken, der an einem großen Putzrelief im Treppenhaus des Schlosses abzulesen ist: In sozialistischer Verbrämung zeigt es einen feisten Gutsherrn mit Dreizack und Säbel, der sich gerade selbst an einer Birne gütlich tut, während vor ihm magere Kinder auf Knien die Hand aufhalten und militante Sozialistinnen die Kinder mit Birnen versorgen.

Es wird Friedrich-Carl von Ribbeck nicht ganz leichtgefallen sein, 1998 in das Dorf zurückzukehren, wo er kurz vor seiner Vertreibung die Schulbank drückte. Als Enkel von Hans Georg Karl Anton von Ribbeck, dem letzten Herrn von Ribbeck, der 1945 als überzeugter Gegner Hitlers im Konzentrationslager Sachsenhausen ums Leben kam, kaufte er den Kutschpferdestall der Familie zurück und begann, in Ribbeck Birnenessig herzustellen.

„Ich hätte ein schlechtes Gewissen, irgendwo anders zu leben. Wenn man eine jahrhundertealte Ahnenreihe hinter sich weiß wie ich, fühlt man sich einfach der Familientradition verpflichtet“, erklärt er seine Entscheidung. Anfänglich wurde ihm noch Misstrauen entgegengebracht. Doch mit der Zeit wuchs eine neue Dorfgemeinschaft zusammen. Ausschlaggebend war wohl auch von Ribbecks Engagement im Heimat- und Kulturverein, der Lesungen oder Veranstaltungen wie die Ribbecker Sommernacht organisiert und sich für die Sanierung des Schlosses starkgemacht hat.

Mit am Strang zog die aus Süddeutschland stammende Architektin Sonja Hermann als Geschäftsführerin des Heimatvereins. Und Pfarrer Möhring öffnete die Kirche für Besucher.

Hier gibt es auch täglich Kirchenkaffee mit Kuchen, den Frauen aus dem Dorf backen

Gewiss, einen üppigen Birnbaum, an dem im Herbst die Früchte leuchten, konnte auch er nicht aus dem Nachfolgegewächs jenes Exemplars zaubern, das 1911 einem Sturm zum Opfer fiel und dessen Stumpf noch in der Kirche steht. Doch mittlerweile finden in dem barock überformten Saalbau aus dem 14. Jahrhundert nicht nur Konzerte und Ausstellungen statt. Hier gibt es auch täglich Kirchenkaffee mit Kuchen, den Frauen aus dem Dorf – wenn möglich mit Birnen – backen.

Aus dem alten Pfarrgarten wurde ein freundlicher Bibelgarten, aus der Dorfschule ein Museum mit Café und Fahrradverleih, in den umliegenden Häusern siedelten sich Künstler an, hinter der Brennerei führt ein liebevoll angelegter Barfußpfad zum Kinderbauernhof Marienhof.

Wichtigstes Projekt war jedoch die Wiedereröffnung des Schlosses. Nachdem es schon 1375 als Rittersitz der Familie von Ribbeck erwähnt und im 19. Jahrhundert unter Hans-Georg Henning von Ribbeck zum neobarocken Herrenhaus umgebaut wurde, erstrahlt es heute in neuem Glanz. Hinter der freundlichen Fassade finden Ausstellungen und Jazzkonzerte statt. Außerdem gibt es ein Restaurant, ein Standesamt, und auch der Tourismusverband des Havellands hat seinen Sitz von Rathenow hierherverlegt. Offensichtlich gibt es keine bessere Visitenkarte der Region als Fontanes Ribbeck, das sich erst zum Bilderbuchdorf und dann zur touristischen Marke entwickelt hat.

„Stille deine Sehnsucht“, lautet der Werbeslogan der Gegend. Und es sieht tatsächlich so aus, als kämen die Besucher hierher, um ihre Sehnsucht nach der guten alten Zeit zu stillen. Auch wenn es die, wie der Schriftsteller Delius meint, vielleicht nie wirklich gegeben hat. Gut möglich, dass es dem Dorf heute besser geht als je zuvor. Woran Fontanes Ballade über die gute alte Zeit einen nicht unerheblichen Anteil hätte!