Baked Beans gegen Heimweh

TROSTNAHRUNG Briten in Frankreich haben ein Problem: Sie vermissen ihr gutes englisches Essen. Die Lösung: Onlineshopping quer über den Ärmelkanal

■  Die Auswanderer: Fast drei Millionen Deutsche leben und arbeiten im Ausland, womit sie im OECD-Ländervergleich an zweiter Stelle hinter den Briten liegen. Und was vermissen heimwehgeplagte Deutsche? Gutes Schwarzbrot.

■  Das Dilemma: Schwarzbrot als mitteleuropäische Spezialität ist in südlichen Ländern kaum erhältlich. Selbst wenn es in örtlichen Supermärkten verpacktes Vollkornbrot gibt, ist es oft viel zu teuer.

■  Die Lösung: Mittlerweile gibt es überall deutsche Bäckereien, sei es in Kairo oder Schanghai. Eine Lösung bietet schwarzbrot.com, wo die „beste Heimweh-Medizin“ geboten wird: Vollkornbrot, in der Dose gebacken, online zu bestellen. Solche Heimwehpakete werden an Kunden in „schwarzbrotarmen Regionen“ geschickt.

VON MARINA WETZLMAIER

Es war der Traum vom französischen Lebensstil, der Alyson Faulkner vor sechs Jahren dazu bewog, ihre Heimat Großbritannien zu verlassen. Die malerische Flusslandschaft der Dordogne, eine Region im Südwesten Frankreichs, hatte es ihr und ihrer Familie angetan. „Little Britain“ wird die Gegend genannt – wegen der vielen britischen Bürger, die sich dort niedergelassen haben. „Expats“ nennen sie sich, abgekürzt von „Expatriates“ – die, die ihr Vaterland verlassen haben. So richtig loslassen kann Faulkner aber nicht, jede Woche fährt sie nach Großbritannien, um einkaufen zu gehen. Jedoch nicht nur für sich, sondern auch für ihre rund 3.500 britischen Kunden, die in Frankreich leben, genau wie sie.

„Sterling Shopping“, heißt das Unternehmen, das Alyson Faulkner gemeinsam mit ihrem Mann gegründet hat. Und der Name ist gleichzeitig die Geschäftsidee: Britische Bürger in Frankreich können über Online-Portale britischer Supermärkte wie Asda oder Marks and Spencer ihre Einkäufe erledigen und in Pfund Sterling bezahlen. Die Lebensmittel werden anschließend an die britische Adresse der Speditionsfirma geschickt, welche sie verpackt und an die Expats in Frankreich liefert. Auf Wunsch direkt bis vor die Haustür und das Ganze innerhalb von vier Tagen.

Kleinbusladungen von Baked Beans, PG Tips Teebeuteln und indischer Currysauce finden so durch Unternehmen wie Sterling Shopping ihren Weg über den Ärmelkanal nach Frankreich. Doch nicht nur typisch britische Lebensmittel werden transportiert: „Vor allem Windeln sind stark nachgefragt“, erzählt Faulkner, „denn in Frankreich sind sie viermal so teuer wie in England.“ Auch Hygieneartikel wie Dove-Deodorants, Haartönungen, Babynahrung und sogar Hundefutter werden von den Kunden gern bestellt.

Dieser rege Warenverkehr mag absurd und umweltschädlich wirken, gibt es diese Produkte doch überall in Frankreich zu kaufen. Selbst britische Lebensmittel werden mittlerweile im französischen Supermarkt angeboten.

„Marmite und Baked Beans: Es gibt Dinge, die ich in Frankreich nicht missen möchte“

WENDY JOHNSON

„Es ist für mich vor allem eine Preisfrage“, meint Wendy Johnson. Seit zwölf Jahren lebt die 42-jährige Mutter von zwei Kleinkindern mit ihrem französischen Ehemann in Montpellier. Vor wenigen Jahren hat sie das Onlineshopping für sich entdeckt. „Lieferungen aus England sind oft sogar schneller da, als die aus Frankreich“, erzählt sie. „Auch ist die Auswahl in britischen Onlineshops größer.“ Wie viele ihrer Landleute fährt sie außerdem regelmäßig mit dem Auto in die Heimat, wobei sie nicht nur Freunde und Verwandte besucht, sondern gleichzeitig ihren Dosenvorrat an Baked Beans auffrischt. Der Einkauf in Großbritannien sei für sie um ein Drittel billiger als in Frankreich.

Ein Argument, das für viele andere Briten zu gelten scheint, vor allem seit das Britische Pfund im Vergleich zum Euro schwächer geworden ist. Viele ältere Expats beispielsweise, die ihren Ruhestand in Frankreich verbringen, bekommen ihre Pension in Pfund ausbezahlt. Durch den Wechselkurs ist ihr Einkommen zurzeit weniger wert. „Als ich nach Frankreich gekommen bin, war es noch günstig, hier zu leben“, sagt Alyson Faulkner. „Das hat sich in letzter Zeit dramatisch geändert.“ Als die Preise in Frankreich stiegen, kamen einige ihrer Freunde in Geldnot, und Faulkner brachte ihnen Waren aus Großbritannien mit, um ihnen beim Geldsparen zu helfen. Daraus entstand die Idee einer eigenen Speditionsfirma.

Vor allem seit den Neunziger Jahren wächst die Anzahl der „Lifestyle-Migranten“, wie Martina Kobras sagt. Sie ist Human- und Sozialgeografin an der Universität Münster und schreibt gerade ihre Doktorarbeit zum Thema britische Migranten in Frankreich. Viele Briten kämen mit falschen Vorstellungen nach Frankreich: Sie suchten eine bessere Lebensqualität, mehr Lebensraum und wollten ihren Traum vom eigenen Haus auf dem Land verwirklichen. Da Grundstücke in Großbritannien teurer sind als in Frankreich, investieren Briten gern in französische Immobilien. Was zunächst als Ferienresidenz gedacht ist, wird oft zum festen Wohnsitz. „Viele überschätzen aber ihre finanziellen Möglichkeiten“, meint Kobras. Romantische Vorstellungen vom französischen Leben werden dann oft von der Realität eingeholt.

„Little Britain“ wird die Gegend genannt – wegen der vielen Briten, die sich dort niedergelassen haben“

„Britischen Bürgern, die nach Frankreich wollen, aber noch keinen Job haben, rate ich davon meist ab“, sagt die Onlineshopperin Wendy Johnson und erzählt von Briten, die von der hohen Arbeitslosigkeit in Frankreich oft nichts ahnen. Durch ihr Engagement in der britischen Community kennt sie die Sorgen und Sehnsüchte der Expats. In Montpellier betreibt sie eine Agentur, um britische Neuankömmlinge bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Mit Freunden gründet sie gerade einen englischen Lebensmittelladen.

Zu den wirtschaftlichen Problemen der Expats kommt oft auch noch ein soziales: Die Integration in die französische Gesellschaft klappt nicht bei allen. „Es gibt Expats, die sich so gut integrieren, dass sie kaum mit anderen Briten Kontakt haben. Andere aber finden nur schwer französische Freunde“, sagt sie. Die Sprache sei dabei die größte Hürde. Johnson leitet daher auch den Verein „BritsNimes“, als Treffpunkt für englischsprachige Menschen. Vielen gebe die Mitgliedschaft in dieser Community ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität. Zu dieser Identität gehören auch Pickles und englischer Tee.

Wenn Briten sich online Baked Beans bestellen, geht es nicht nur um Sparzwang – sondern auch um Nostalgie. Um den Wunsch, ein Stückchen Heimat im Ausland genießen zu können. „Es gibt einfach Dinge, die ich hier in Frankreich nicht missen möchte“, erzählt Wendy Johnson. Und dann kommt sie ins Schwärmen: „Ich bin mit Marmite und Baked Beans in Tomatensoße aufgewachsen. Das ist ein Stück englischer Kultur, das ich gern meinen eigenen Kindern weitergeben möchte.“ Die französische Küche finde sie zwar sehr gut, aber wenig abwechslungsreich und in ihrer Tradition zu sehr verankert, während britisches Essen mehr Vielfalt biete. Außerdem schmecken gewisse Dinge in der Fremde eben nicht so wie zu Hause: „Französisches Baguette ist schon gut, aber Engländer brauchen manchmal ihr Bacon-Sandwich, und der beste Toast lässt sich nur aus britischem Brot machen“, ist Johnson überzeugt. Nach England zurück will sie trotzdem nicht, dafür ist das französische Landleben dann doch zu schön.