Marrakescher Verhältnisse

KULTURPOLITIK Bündnis fordert den Ausschluss einer israelischen Künstlerin von Biennale in Marokko

Die Videokünstlerin Keren Cytter gerät in Marokko in die Schlagzeilen. Doch nicht etwa wegen ihrer Werke, die sie zusammen mit weiteren 42 Künstlern aus aller Welt auf der 5. Biennale von Marrakesch vorstellen wird, sondern wegen ihrer Herkunft. Die 37-Jährige ist Israelin. Sie wurde in Tel Aviv geboren und ist dort aufgewachsen, bevor sie nach Europa übersiedelte.

Für Marokkos Islamisten und Panarabisten ist Cytters Teilnahme an der Biennale eine Provokation. „Sie stammt aus dem israelisch-zionistischen Besatzungsgebilde. Sie einzuladen macht aus dem Verbrechen der Besatzung etwas Normales“, erklärt Aziz Henawi, Generalsekretär des marokkanischen Observatoriums gegen die Normalisierung, gegenüber der in London erscheinenden panarabischen Zeitung Al-Qods („Jerusalem“).

„Bewegung gegen die Normalisierung“

So wird ausgerechnet eine Kunstveranstaltung, die vom 26. Februar bis zum 31. März „Brücken zwischen den Kulturen“ schlagen will, zum Politikum. Die Bewegung gegen die Normalisierung kündigt Proteste an und fordert auch die geladenen marokkanischen Künstler auf, sich gegen die Teilnahme von Cytter auszusprechen.

Henawi und sein Observatorium greifen auch den Ehrenvorsitzenden der Biennale, André Azoulay, an. Der wirtschaftliche Berater von Marokkos König Mohamed VI., der zuvor schon Vertrauter dessen Vaters Hassan II. war, stecke hinter der Absicht, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Azoulay ist den Islamisten und arabischen Nationalisten seit Langem ein Dorn im Auge. Denn er stammt aus einer jüdischen Familie im marokkanischen Badeort Essaouira.

Das Observatorium rechnet fleißig, wenn es um die Handelsbeziehungen zu Israel geht. Im Jahr 2013 sei der Warenaustausch zwischen Marokko und dem „zionistischen Gebilde“ um 130 Prozent gestiegen. Marokko ist damit die Nummer sieben in Afrika und nach Ägypten und Jordanien die Nummer drei in der arabischen Welt in Sachen Außenhandel mit Israel. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die königliche Armee drei Drohnen in Tel Aviv geordert hat, um sie bei der Überwachung der Grenzen – und damit des Migrationsflusses – einzusetzen.

Breiter Einfluss im Parlament

Es geht um weit mehr als um eine kleine, radikale Organisation. Denn das Bündnis gegen die Normalisierung hat längst Marokkos Parlament erreicht und sorgt dort für ungewöhnliche Koalitionen. Die regierenden Islamisten von der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) haben zusammen mit der historischen Unabhängigkeitspartei Istiqlal sowie der sozialdemokratischen USFP und der postkommunistischen PPS einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der diejenigen bestrafen soll, die die Normalisierung des Verhältnisses zu Israel begünstigen. Darauf sollten demnach zwei bis fünf Jahre Haft sowie hohe Geldstrafen stehen.

Außerdem sollen den Schuldigen die staatliche Rente sowie ein Teil der Bürgerechte aberkannt werden. Handelt es sich um eine Organisation oder um ein Unternehmen, soll deren Guthaben beschlagnahmt werden. Wirtschaftliche Beziehungen sollen ebenso unter Strafe gestellt werden wie etwa sportlicher und kultureller Austausch – oder eben die Einladung von Israelis zu Treffen wie der Biennale.

Noch ist all dies nur ein Gesetzesentwurf. Doch sollte das Gesetz durchs Parlament gehen – an einer breiten Mehrheit fehlt es dort nicht –, stellt sich die Frage, was mit Menschen wie dem königlichen Berater Azoulay geschieht. Wie er gehören 5.000 Marokkaner dem jüdischen Glauben an. Im verhassten Israel selbst leben – so die Schätzungen – weitere 900.000 marokkanischstämmige Juden. Es sind die Menschen, die meist nach der Unabhängigkeit Marokkos ausgewandert sind, sowie deren Nachkommen. Viele von ihnen haben bis heute die doppelte Staatsbürgerschaft und besuchen die alte Heimat immer wieder. REINER WANDLER