Wer geht jetzt dahin, wo es wehtut?

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF Der Regisseur, produktive Zweifler und ermutigende Provokateur ist tot. Aus seinem Leben kann die deutsche Linke lernen, vor dem Scheitern nicht so viel Angst zu haben

Christoph Schlingensief war ein Teil jener Kraft, die stets das Gute will, daran scheitert und trotzdem weitermacht. Wer nichts tut, kann auch keine Fehler machen. Schlingensief tat, machte Fehler und tat danach erneut.

Er hatte etwas, was der sauertöpfischen deutschen Linken von Klaus Ernst bis Günter Grass heute so oft fehlt. Trotz eines wanderpredigerartigen Habitus besaß Schlingensief eine so große Lust am Anarchischen und am Ausprobieren, dass die Angst, zu scheitern, davor kapitulieren musste. Arbeitslose in den Wolfgangsee springen lassen, ein Operndorf in Burkina Faso. Ist das nicht albern, kindisch, werden da nicht Leute ausgenutzt, schwingt da nicht ein kolonialistisches Verständnis von Afrika mit, müsste man das Geld nicht für wichtigere Dinge wie Essen ausgeben? Schlingensief hat solche Fragen sehr wahrscheinlich mitbedacht – er war ein Zweifler. Aber das hinderte ihn nicht daran, zu tun.

Die Ergebnisse waren oft mager und großartig zugleich. Mager, weil Schlingensief 4 Millionen deutsche Arbeitslose dazu aufgerufen hatte, in den Wolfgangsee zu springen, um das österreichische Feriendomizil des damaligen Kanzlers Helmut Kohl zu überfluten, und nur etwa hundert kamen. Und auch mit voller Besetzung hätte es das Gewässer nur ein paar Zentimeterchen angehoben. Großartig, weil Salzburgs Kulturbürokratie damals allen Ernstes drohte, eine halbe Million Mark an Subventionen für das Kulturfestival Szene Salzburg zu streichen, wenn der deutsche Künstler seine Ankündigung wahr machen sollte.

Scheitern war bei Schlingensief nicht Selbstzweck, er wollte gewinnen, nur verwechselte er dabei nicht sich selbst mit seinen Anliegen. Er nahm sich nicht ernster als diese. Das Staatstragende und Pompöse war ihm fremd – deswegen haderte er nach seinem „Parsifal“ in Bayreuth erst einmal ein Weilchen in Namibia herum – das Populäre war es nicht, deswegen gibt es „Das deutsche Kettensägenmassaker“. Ein blutiger Horrorfilm, dessen Slogan „Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst“ die Misere der Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung besser charakterisiert als viele dicke Bücher, die über das Thema verschwendet wurden.

Diese Haltung half auch, Menschen das Theater nahezubringen, denen es qua Herkunft zu bedrohlich und fremd erschien – auch wenn die Stücke selbst so manchen gar nicht begeisterten. Das war Selbstermächtigung, ebenso wie das Einbinden von behinderten Darstellern in Schlingensiefs Inszenierungen – was man als Gutmenschenkitsch schmähen kann oder als das sehen, was es ist: ein emanzipatorischer Akt. Bisher Ausgeschlossenen wurde die Möglichkeit eröffnet, mitzuspielen.

Christoph Schlingensief war mit Sicherheit kein Vorbild, allein schon deshalb, weil er dieses Wort abgelehnt hätte. Aber er war einer der Menschen, von denen man sagen kann, dass es ermutigend war, ihn leben und politisch kämpfen zu sehen. Und es war sicherlich unterhaltsamer, ihm zuzuschauen, wenn er irrte und etwas in den Sand setzte, als anderen dann, wenn sie etwas zu Ende bringen und recht behalten. Zum Glück gelang ihm oft genug auch Letzteres. Wie unendlich schade, dass das vorbei ist. DANIEL SCHULZ

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