In romantischer Kulisse

NEUE VAGANTEN Im „Fränkischer Theatersommer“ treten Schauspieler in mittelalterliche Fußstapfen und spielen auf dem Land. Da geht es um eindeutige Typen: Taugenichtse und unglückliche Liebhaber

■  Das Ensemble des Fränkischen Theatersommers tourt noch bis zum 31. Oktober 2010 durch Oberfranken. Termine unter www.theatersommer.de.

Von Provinz zu reden, das ist noch legitim. Der Ausdruck „Provinzler“ aber hat einen negativen Beigeschmack. Er klingt ähnlich wie „Hinterwäldler“ und hat etwas Absolutes. So als ob hier die Zivilisation wohnte und dort nicht. Tatsächlich verbindet sich mit der Geschichte der Provinz auch eine Geschichte der räumlichen Verschiebung von Kultur, genauer gesagt, der Theater. Bevor die festen Bühnen Ende des 19. Jahrhunderts die Städte eroberten, reisten Schausteller mit mobilen Bühnen durch Europa. Auf Märkten, in Gaststuben und Scheunen spielten sie improvisiertes Theater. Später avancierte das Theatermachen zu einem Prädikat der urbanen Gesellschaft. So ist die Geschichte des Theaters auch eine der sterbenden Provinz: Auf dem Land wurde es allmählich stiller.

Der Intendant Jan Burdinski ist einer, der dagegenhält: Seine aktuell laufende Veranstaltungsreihe „Fränkischer Theatersommer“ soll die städtische Zentriertheit des Theaterbetriebs lösen. Mit einem leichten Programm aus Kabarett und Komödien tourt das selbst erklärte Vagantentheater jährlich im Sommer durch die oberfränkischen Dörfer und Kleinstädte. Die Mittel sind dabei ähnliche wie einst: Eine Freiluftbühne wird aufgeschlagen und alte Klassiker in abgespeckter Fasson gespielt.

Das Ensemble sucht nach „schönen Orten“, die von keiner üppigen Theaterlandschaft gesegnet sind. Wie zum Beispiel die 30.000-Seelen-Gemeinde Forchheim. Im Stadtpark, zwischen Rosenbeeten und Wasserfontänen, spielen sie Goethes „Jahrmarktsfest von Plundersweilern“ und Rostands „Cyrano de Bergerac“. Forchheim ist eine Passierstadt: Man passiert sie per Autobahn auf dem Weg von Berlin nach München. Man passiert sie, wenn man zum Trekkingurlaub in die Fränkische Schweiz fährt. Von wenigen Kleinkünstlern abgesehen, machen hier nur selten Schauspielensembles Halt.

Hinter Burdinskis Projekt steht auch ein Traum, der aus der Kulturgeschichte kommt. Es ist der romantische Traum von idyllischer Natur, verlassenen Burgen und mittelalterlichem Vagabundentum. Auch Ludwig Tieck schwärmte von den fränkischen Ruinen und Fachwerkmühlen. Burdinski verfällt der Nostalgie einer Zeit, die selbst nostalgisch war.

„Das Schauspiel muss zu den Menschen kommen“, sagt Burdinski, „nicht umgekehrt.“ Er spricht von einem „Abenteuer“, in das er sich gestürzt habe. Das klingt nach Safari und Risiko. Auf Experimente lässt er sich aber eigentlich gar nicht ein. Um „zu den Menschen zu kommen“ wählt er unbeschwerte Stücke. Er zeigt Komödien, Schwänke, Kabarett. Da geht es um eindeutige Typen: mal den Geizigen, den Taugenichts oder auch den unglücklichen Liebhaber.

Die Namen der Autoren kennt jedermann, mal gibt es ein Stück nach Molière, dann von Kleist oder Shakespeare. Die Klassiker bekommt das Publikum aber nur in starker Überarbeitung zu sehen. „Wir müssen direkt sein. Eine Fußnotendramaturgie können wir uns nicht erlauben“, erklärt Burdinski. Er schreibt die Texte daher meistens selbst um. In eine Provinzfassung.

„Wir können hier nicht einfach alles spielen“, sagt Burdinski. Das klingt logisch. Doch das „hier“ wird nicht weiter definiert. Unter dieser Oberfläche wabern die alten Diskussionen ums Publikumstheater. Um den Spagat zwischen künstlerischer Freiheit und dem Geschmack der Massen. Allerdings sind jene Diskussionen jetzt in einen spezifischen Kontext verpflanzt: Denn es geht nicht um die simple Frage: Kann oder soll man es den Zuschauern recht machen? Sondern um die Verortung der Provinz im Besonderen.

Stadt-Land-Gefälle

„Es muss direkt sein. Eine Fußnotendramaturgie können wir uns nicht erlauben“, erklärt Jan Burdinski. Er schreibt die Texte daher meistens selbst um

Es scheint, als hätte sich die Idee des Stadt-Land-Gefälles selbstständig gemacht. Der Annäherungsversuch bleibt vorsichtig. Grund ist eine unhinterfragte Unsicherheit der Künstler gegenüber dem Publikum. „Es gibt immer noch Bildungsbarrieren“, erklärt der Intendant. Unter dieser Annahme gestaltet sich die Mission Provinztheater plötzlich als riskantes Unterfangen. „Die Franken sind nur langsam zu erwärmen,“ meint Burdinski. Man bemerkt den Unterton des gelernten Mediziners. Burdinski fühlt sich als Arzt berufen. Doch der Landbewohner ist ein schwieriger Patient. Die Antwort auf das Stadt-Land-Gefälle sieht Burdinski in einem Theater des „Konsumierens“. Das ist nicht allein eine provinzspezifische Lösung.

Noch dazu gleicht die Provinz von heute nicht der Provinz von einst. Die imaginäre Kluft, die sich durch das grundverschiedene Kulturangebot von Stadt und Land entwickelte, schuf ein eigenes Selbstbewusstsein auf dem Land. Die Idee des Komödiantentums dagegen blieb stehen, während sich das Rad der Zeit drehte. So ergibt sich ein seltsamer Effekt: Das Theater fühlt sich immer wieder fremd dort, wo es doch zu „den Menschen“ kommen will. ISABEL METZGER