KOMMENTAR: TERESA HAVLICEK ÜBER NIEDERSÄCHSISCHES ABITUR-HICKHACK
: Getrieben im Lobbydschungel

Wirklich Konkretes zur Abi-Reform hat die Kultusministerin nicht vorgelegt

Die Reform ist fest versprochen: Schon bei der Regierungsübernahme vor einem Jahr hatte Rot-Grün in Niedersachsen Änderungen beim Turbo-Abi angekündigt. Ausgeruht, im breiten Dialog wohl beraten wolle man reformieren – das war die Ansage. Mit ihrer jetzt verkündeten Entscheidung wirkt Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) eher wie eine Getriebene.

Monatelang war sie Fragen nach einer Rückkehr zum Abi nach 13 Jahren ausgewichen. Stets war die Parole, die Ministerin wolle sich nicht festlegen, ehe eine eigens eingesetzte Expertenrunde ihre Empfehlungen ausgesprochen habe. Nur Wochen bevor das Gremium aus Lehrer-, Schüler- und Elternvertretern im März seine Expertise vorlegen wird, knickt Heiligenstadt jetzt ein – zu groß war offenbar der Druck.

Und zwar von allen Seiten: Lehrer, Schüler, Eltern, Wirtschaftsverbände, selbst CDU und FDP, die das Turbo-Abi einst einführt haben – sie alle drängen auf ein Schuljahr mehr. Insbesondere die Gymnasiallehrer tun das mit wachsender Ungeduld: Ihnen hat Rot-Grün gerade eine Unterrichtsstunde mehr pro Woche aufgebrummt. „Entstressung“ hat Ministerin Heiligenstadt zwar auch hier versprochen – nämlich durch die noch ausstehende Turbo-Abi-Reform –, besänftigen konnte sie die Gymnasiallehrer aber dadurch nicht: Seit Monaten brodelt es, landesweit werden aus Protest freiwillige Angebote wie Klassenfahrten boykottiert.

Ob Heiligenstadts Grundsatzentscheid fürs Abi nach 13 Jahren den Konflikt entschärft? Wirklich Konkretes hat sie nicht vorgelegt, wann und wie ihre Reform kommen soll, ist weiter offen. Im schlimmsten Fall hinterlässt Heiligenstadt damit nicht nur den Eindruck einer im Lobbydschungel der Interessenverbände Getriebenen. Verprellen könnte sie auch all jene, die an ihren Willen zum offenen Dialog in der Abi-Frage tatsächlich geglaubt haben.

Inland SEITE 9