„Das ist, was Olympia macht“

PROTEST Zwei Frauen von Pussy Riot haben den Protest gegen das autokratische Russland belebt

AUS SOTSCHI MARKUS VÖLKER
UND ANDREAS RÜTTENAUER

Am Tag nach dem spektakulären Auszug von Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina aus der Polizeistation von Adler ist nicht mehr viel los in der Kirpitschnajastraße. Eine Handvoll Polizisten stehen vor dem Gebäude, das einen halben Kilometer oberhalb des Bahnhofs von Adler liegt. „Ja“, sagt einer am Eingang, „die von Pussy Riot sind hier gewesen, jetzt sind sie nicht mehr da. Sie kommen zu spät.“

Er wirkt irgendwie belustigt. Vielleicht hat er noch die Bilder im Kopf, wie die Mitglieder von Pussy Riot am Dienstagabend vor der Polizeistation auftraten: Mit ihren bunten Sturmmützen hatten sie das Lied „Putin lehrt dich, Russland zu lieben“, performt. Ein jüngerer Polizist erkundigt sich dann noch nach der Herkunft des Besuchers. Nach den Personalien fragt keiner der Ordnungshüter. „Das war’s jetzt für dich“, sagt er. Selbst ein Foto dulden sie.

Unten, am Bahnhof von Adler, haben die Polizisten mehr Stress. Es scheint, als seien die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verschärft worden. Überall ist Polizei. Der Doppelcheck eines jeden Passagiers vor dem Einsteigen in den Zug ist obligatorisch. Russland ist nervös, so viel steht fest. Tolokonnikowa und Aljochina, die wegen Hooliganismus zwei Jahre lang in Straflagern einsaßen, haben mit ihrer Reise in die Olympiastadt die Spiele wieder politisch aufgeladen.

Sicherheitskräfte nahmen die erst vor einigen Wochen aus der Haft entlassenen Freiheitskämpferinnen in Adler gleich dreimal fest, insgesamt über einen Tag lang. Die Ikonen des russischen Widerstands treiben sehr geschickt einen Stachel ins Fleisch der Autokratie. Die ganze Welt erfährt, was mit Pussy Riot geschieht, denn Tolokonnikowa kommentiert fast jeden Schritt ihrer Sotschi-Odyssee auf Twitter. Ihr Profilname: @tolokno.

Man weiß nicht, ob auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) bei Tolokonnikowa mitliest; nach dessen Haltung zu der Sache wurde IOC-Sprecher Mark Adams am Mittwoch natürlich von der internationalen Presse befragt. „Wir sind nicht die UN oder eine supernationale Regierung, die Einfluss auf andere Länder hätte“, sagt er. Was außerhalb von Olympia geschehe, das sei nicht Sache der olympischen Gesellschaft. Fast zwanghaft halten Adams und auch IOC-Chef Thomas Bach an der Sprachregelung fest, dass es zwischen Olympiasport und Politik praktisch keine Berührungspunkte gebe.

„Ich denke“, sagt Adams, „dass das, was jetzt mit Pussy Riot passiert ist, keine Verbindung zu den Spielen hatte.“ Wenn die Bandmitglieder im Olympiapark demonstriert hätten, „wäre dies unangemessen gewesen“. Wahrscheinlich so wie der Protest der italienischen LGBT-Aktivistin Vladimir Luxuria, die, als sie die Eishockeyhalle „Shayba“ betreten wollte, von Sicherheitskräften aus der 5-Ringe-Zone bugsiert wurde; im Regenbogenoutfit hatte sie zuvor skandiert: „It’s okay to be gay.“ Luxuria sei sehr freundlich zum Ausgang geleitet worden, meint Adams, „und das war’s.“

Beim Deutschen Olympischen Sportbund hat man sich nicht mit der Festnahme der Pussy-Riot-Aktivistinnen befasst. Eine Stellungnahme der DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann wird es dazu nicht geben, meinte Verbandssprecher Christian Klaue und diktierte die offizielle Sprachregelung: „Wir verfügen über keine Informationen, die es erlauben, eine dezidierte Einschätzung der Lage abzugeben.“ Riesenslalom der Männer war im deutschen Lager am Mittwochvormittag wichtiger als die Gängelung Oppositioneller. „Meinen Sie wirklich, wir diskutieren stattdessen über Pussy Riot?“, fragt DOSB-Sprecher Klaue.

„Wir lieben das olympische Sotschi.“ Nach ihrer Freilassung äußerte eine der Aktivistinnen, deren Gesicht unter einer gestrickten Sturmhaube verborgen blieb, ebenfalls ihre Begeisterung für das Event. Was ihr besonders gut gefiel? „Wir haben viele Menschen hier kennengelernt. Die meisten tragen Uniform.“

Tolokonnikowa hatte schon bei einem Telefoninterview aus einem Polizeifahrzeug heraus bestätigt, dass ihr Aufenthalt in Sotschi sehr wohl etwas mit Olympia zu tun habe. Pussy Riot seien nach Sotschi gekommen, um dort ein Video für ein neues Lied zu drehen, ebenjenes, das die Frauen sangen, als sie wieder freigelassen worden waren: „Putin lehrt dich, Russland zu lieben“. Der letzte Tweet, bevor ihr auf der Polizeiwache das Handy abgenommen wurde, lautete: „Das ist, was Olympia macht.“

Per Twitter machte Tolokonnikowa auch klar, dass sich ihr neues Projekt explizit mit Olympia, der Zerstörung der Natur sowie der Korruption im Zusammenhang mit dem Megaevent beschäftigt und dem Ökologen Jewgeni Witischko gewidmet sei, der zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, weil er sich bei einer Verkehrskontrolle danebenbenommen haben soll. Auch der Grund für die Festnahme der Pussy-Riot-Aktivistinnen lässt die Willkür erahnen, mit der die Behörden Oppositionelle drangsalieren: Sie sollen eine Handtasche gestohlen haben.

Der Vorwurf wurde nach einer Befragung nicht aufrechterhalten. Jetzt wollen Tolokonnikowa und Aljochina die Polizei anzeigen. Nach ihrer Freilassung versuchten beide am Mittwoch erneut, den Videoclip zu drehen. Dabei wurden sie von Bereitschaftspolizisten und Kosaken in traditioneller Tracht mit einer Peitsche und Pfefferspray angegriffen. Aljochina veröffentlichte via Twitter Fotos von Blutergüssen.

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