RALPH BOLLMANN MACHT
: Der letzte Ruchlose

Warum der Politiker Roland Koch alles andere als ein Konservativer ist. Und ich seinen Abschied am kommenden Montag deshalb nicht bedauern muss

Den förmlichen Teil des Gesprächs hatten wir beendet, die politische Agenda abgehakt. Es war der Zeitpunkt für Smalltalk und Persönliches gekommen, stets Einfallstor für Peinlichkeiten aller Art. Mein Gesprächspartner, ein CDU-Politiker, ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt vorüberziehen. „Wie geht es Ihnen, Sie wechseln doch zur Welt“, fragte er ganz unvermittelt. Als er meinen irritierten Blick bemerkte, wurde er ein wenig rot und murmelte etwas von Verwechslung. „Das hätte ich mir denken können“, schob er noch hinterher, „für die Welt sind Sie doch zu konservativ.“

Fast hätte ich den Satz als sinnentleerte Frotzelei abgetan. Wenn mich nicht der bevorstehende Abschied Roland Kochs in der kommenden Woche wieder daran erinnert hätte. Oder vielmehr die vielen Nachrufe, die das Verschwinden des letzten Konservativen aus der deutschen Politik beklagten.

Das hat mich sehr gewundert. Dass Roland Koch ein Politiker mit Prinzipien sei, war mir bis dahin noch nicht aufgefallen. Zweimal, 1999 und 2008, führte er Wahlkampagnen mit einem Ressentiment gegen Einwanderer. Als der Versuch beim zweiten Mal erfolglos blieb, legte er großen Wert darauf, dass ihm dieses Ressentiment nicht selbst eigen sei. Er hatte es also nur benutzt.

Natürlich geht kein Politiker, der auf lange Frist erfolgreich ist, tagtäglich mit seinen Überzeugungen hausieren. Dass sie Atomkraftwerke insgeheim für unbedenklich hält, sagt beispielsweise die Physikerin Angela Merkel lieber nicht. Weshalb sie die Laufzeiten vermutlich nicht ganz so stark verlängern wird, wie sie es für den Klimaschutz eigentlich für geboten hielte. Auch die zahlreichen SPD-Politiker, die ein erhöhtes Renteneintrittsalter sehr befürworten, verhalten sich derzeit eher still.

Eine solche Biegsamkeit allein reicht jedoch nicht aus, um von den politischen Kommentatoren des Landes als konservativ gerühmt zu werden. Es muss eine zweite Tugend hinzukommen: Ruchlosigkeit. Wer nicht bereit ist, sich notfalls auch über die Menschenwürde anderer hinwegzusetzen und eigenen Prinzipien zuwiderzuhandeln, hat wenig Chancen auf das ehrende Etikett. In den Olymp der großen Staatsmänner stieg der Kommunistenfresser Franz Josef Strauß erst auf, als er sich sein Feindbild mit Hilfe eines Milliardenkredites für die DDR noch für ein paar Jahre erhielt.

Man mag die Ängste vor der Gleichheit nicht teilen, die der französische Theoretiker Alexis de Tocqueville hegte, man kann das abschreckende Bild für allzu einseitig halten, das der britische Autor Edmund Burke von der Französischen Revolution zeichnete. Aber in beiden Fällen muss man sagen: Es ist ein kluger, reflektierter Konservatismus, der in diesen Ländern vor zweihundert Jahren geboren wurde. Eine politische Haltung, die ihren Namen verdient.

In Deutschland gibt es dergleichen nicht, oder allenfalls in sehr wenigen Ausnahmefällen. Konservativ zu sein heißt hierzulande, die niederen Instinkte eines Kleinbürgertums zu bedienen. Sich bereitwillig einer Führungsfigur unterzuordnen, wie auch immer sie heißen mag. Die eigenen Fehler zu spät zu erkennen und den Schaden hinterher zu beklagen. Wie Roland Koch nach seinem letzten Wahlkampf.

Vermutlich bin ich wirklich zu konservativ, um seinen Rücktritt zu bedauern.

Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: Archiv