ORTSTERMIN: IN HAMBURG HAT BIS SAMSTAG DER WOHL WELTWEIT ERSTE DATENMARKT GEÖFFNET
: Einmal Früchte? Fünf Fotos

Das Internet streikt. Welch’ Malheur, da doch alles davon abhängt; ohne Netz kein Einkauf. Florian Dohmann sitzt an der Kasse und tippt auf ein iPad. „Da sieht man mal wieder, wie abhängig wir sind“, sagt er. Zum Glück ist gerade kein Kunde da. Dohmann trägt einen weißen Kittel in einem weißen Raum mit weißen Regalen, in denen Toast, H-Milch, Klöße und Dosen-Früchte stehen.

Auf den ersten Blick wirkt das hier wie ein steriler Supermarkt mit minimalistischem Sortiment. Nur hilft Geld nicht weiter. Im Eingang steht ein Schild, auf denen Symbole für Kredit- und EC-Karten sowie Bargeld durchgestrichen sind; nur beim Facebook-Zeichen prangt ein Haken. Milch kostet zehn Posts, Früchte fünf Fotos, Toast acht Likes. An der Kasse loggt man sich mit seinem Account ein und klickt auf „OK“; auf dem ellenlangen Bon prangen dann geteilte Fotos, private Nachrichten und Gefällt-mir-Angaben. Nach dem Einkauf werden die Daten bis auf die Namen der Kunden aber gelöscht – ein Novum, wie wir spätestens seit der NSA-Affäre wissen.

Die Idee für dieses Kunstexperiment in einer Modeboutique in Eppendorf hatten Dohmann, Maximilian Hoch und Manuel Urbanke. Etwa 2.000 Euro haben die Männer, die passenderweise als Data-Scientist und bei Werbeagenturen als Texter und Designer arbeiten, aus eigener Tasche in das Projekt investiert.

Entstanden ist ein dystopisches Projekt, das eine Zukunft darstellt, die sich keine Gesellschaft wünschen kann. Ohne virtuelle Selbstoffenbarung keine Milch; wer nicht Mitglied des sozialen Netzwerks Facebook ist, keine Fotos posted, shared, liked, darf nicht einkaufen. Mark Zuckerberg würde sich die Hände reiben: erst WhatsApp, dann die Supermärkte dieser Welt.

So schlimm werde es aber hoffentlich nicht kommen, sagt Urbanke. Vielmehr gehe es in ihrem Experiment darum, überspitzt zu zeigen, wie wertvoll unsere Daten sind, und wie Unternehmen sie nutzen können – einmal auf „akzeptieren“ geklickt, schon hat man den Salat. Wer liest schon AGBs?

„Dennoch sind wir Fans von sozialen Medien“, sagt Dohmann. Es sei naiv, sie zu verurteilen und zu boykottieren, weil sie ein enormes Potenzial bärgen. Aufklärung und Bildung seien essenziell, um mit ihnen umgehen zu können; deswegen dieses Projekt. Dohmann hat die Applikation programmiert, mit der die Daten der Kunden nach dem Einkauf gelesen werden.

Inzwischen funktioniert das Internet wieder und die ersten Kunden trudeln ein: eine Mutter mit ihrer Tochter. „Das musst du dringend in der Schule erzählen“, sagt sie, nachdem ihnen erklärt worden ist, worum es bei diesem Experiment geht. Einkaufen wollen sie aber lieber nichts. Der Datenmarkt ist noch bis Sonnabend geöffnet. Die drei Erfinder überlegen sogar, mit ihm auf Tour zu gehen.  AMADEUS ULRICH