Tee für alle Fälle

GROSSHANDEL Ein „Tea-Taster“ bei Dethlefsen & Balk muss nicht nur Qualitäten und Aromen erkennen können, sondern auch den Geschmack seiner Kunden treffen. Die Sensibilisierung verfolgt manche bis in den Alltag. Im Geschäft blieb die 1836 gegründete Firma, weil sie auch Zubehör anbietet

Zehn Tassen mit Teeproben aus derselben Ernteperiode werden hintereinander im Spurt weggeschlürft – so fallen Unterschiede sofort auf die Zunge

VON E. F. KAEDING

Tee sei wie Musik, sagt Jens Meier, Geschäftsführer von Dethlefsen & Balk. Für jede Gemütslage gebe es eine Geschmacksmischung. Eine Aussage die augenscheinlich Sinn ergibt, wirft man einen Blick in den Katalog des Unternehmens. Dort finden sich über 450 Teesorten. Im Tresor der Firma lagern Tausende unterschiedliche Rezepturen. Man kann sich vorstellen, dass diese Vielfalt aus dem Jahrhunderte alten Aufgussgetränk einen Retter in allen Lebenslagen macht.

„Göttlich!“, ließe sich aufseufzen. Oder einfach „T`sa!“ respektive „Cha!“ – göttlich, so nämlich heißt in China, dem Ursprungsland des Getränks, der Tee. Und so weht auch dessen süßliches Aroma gottgleich bereits Hunderte Meter entfernt durch die Straßen des Gewerbestandortes im südlichen Hamburg, dem Sitz von Dethlefsen & Balk.

Betritt man die Zentrale des Großhändlers, ist das Aroma der Gegenwart jedoch verschwunden. Der Geschichte wird zunächst Vorfahrt gewährt. Das D & B-Foyer besticht mit Kolonialpatina. Eingetopfte Palmen flankieren eine edle Ledergarnitur. An der dunklen Holzwand dahinter thront eine schwarz-weiße Bildergalerie. Die Gründer alle. Das heutige Treiben in der Firma betrachten die Urväter mit stoischer Ruhe.

Dethlefsen & Balk ist, was man gemeinhin als Traditionsunternehmen bezeichnet. Eine dieser alten und langsam gewachsenen Firmen aus der Handelsvergangenheit der Hansestadt. 1836 gründet Gustav Balck, damals noch mit „ck“ geschrieben, in der Altstadt einen Importhandel für „Allerlei Gewürze und Thee“. Sein Sohn verschlankt das Geschäft. Er gibt das Gewürzgeschäft auf, nimmt den Kaufmann Amandus Dethlefsen an Bord und konzentriert die Firma fortan ausschließlich auf den Import von chinesischem Tee.

Um die Jahrhundertwende übernehmen Gesellschafter das Unternehmen, die 1970 eine wesentliche Veränderung einleiten. Die Firma nimmt Teezubehör ins Sortiment auf: Keramikkannen, Porzellantassen, Becher und Samoware.

Vollsortimentierer

Ein zu der Zeit ungewöhnlicher Schritt, erklärt Meier, weil die damaligen typischen kleinen Branchen-Läden außer Tee tatsächlich weiter nichts anboten. Tee galt als Nischen- und Puristenprodukt. Für Dethlefsen & Balk hat sich die gewagte Erneuerung zum sogenannten „Vollsortimentierer“ ausgezahlt. Heute sind sie im Zubehörbereich europäischer Marktführer.

Ohne diese Expansion der Produktpalette wäre es deutlich schwerer gewesen, das Unternehmen erfolgreich ins 21. Jahrhundert zu führen. 2004 nahm Dethlefsen & Balk deshalb zusätzlich Premium-Kaffee und Süßwaren in sein Sortiment auf. Die Firma zählt nunmehr mehr als 4.000 Kunden weltweit. Sie hat ihre Tradition durch ständige Veränderung bewahren können. Doch jede Veränderung wäre zwecklos gewesen ohne die Arbeit der „Zungen“ im Kerngeschäft des Unternehmens.

Im Herz der Teeproduktion

Thomas Dienemann ist eine dieser „Zungen“ und seit mehr als zwanzig Jahren bei Dethlefsen & Balk tätig. Als Tea-Taster schmeckt und riecht sich der 57-Jährige durch literweise schwarzen und grünen Tee in der Abteilung für „orthodoxe“ Produkte. Seine Kollegen einen Raum weiter prüfen aromatisierte Sorten wie Kräuter- und Früchtetee. Für den Tea-Taster Dienemann gelten zwei Kriterien: Qualität und Geschmack.

Er befährt auf Teetouren die Anbauländer China, Japan, Indien und Kenia. Wieder zurück prüft er die Proben in einem mit Tageslicht beleuchteten Labor auf ihre Qualitätsmerkmale: zunächst das trockenen Blatt – die Farbe, Struktur, Elastizität und den Geruch. Dann geht es an die „Infusion“, wenn also das Blatt aufgegossen wird. Das Aroma muss charakteristisch für die Herkunft sein und soll keinen Fremdgeruch durch die Lagerung oder den Transport aufweisen.

Erst danach geht es an das Verkosten. Immer dabei das „Geschirr“ des Tasters: Über den silbernen Löffel den aufgebrühten Tee mit „möglichst hoher Geschwindigkeit einziehen und gegen den Gaumen schlagen lassen“, erklärt Dienemann. Nur so schmecke man die ganzen Nuancen heraus. Denn ähnlich wie bei der Weinprobe wird durch diese Vorgehensweise die Flüssigkeit mit Luft angereichert und der Tee verteilt sich weitreichend im Mund. „Aber nichts in die Seitentaschen reinlaufen lassen!“, warnt er. Da gibt es nämlich nichts zu schmecken.

Fischig und fleischig

Zehn Tassen mit Teeproben aus derselben Ernteperiode werden hintereinander im Spurt weggeschlürft – so fallen Unterschiede sofort auf die Zunge. Geprüft werden neben dem Geschmack ebenso der Duft und der Glanz der Blätter. Der Novize behilft sich bei der Beschreibung des Aromas mit Adjektiven wie mild, herb oder süffig, mitunter sogar malzig. Oder schlicht „nach Pferdestall“ schmeckend. Dienemann korrigiert: „Rauchig! Der Tee wurde über Pinienholz geräuchert.“

Sein Fachvokabular ähnelt dem eines Sommeliers: blumig, grasig, harsch, spinatig, fleischig. Oder algig, weil der Grüne Sencha Fuji einen hohen Anteil Aminosäuren aufweist und so einen etwas „fischigen“ Geschmack anbietet. Bei „Clonal“-Charakter ist man im Premiumbereich angelangt, sowohl geschmacklich als auch bei der Kunst der Beschreibung. Clonal gilt als eine besonders hochwertige Zuchtsorte, bei der exklusiv die Spitzen des Teebuschs gepflückt werden. Die Gattung soll eine leicht „metallische Zitrusnote“ Note erkennen lassen.

Geschmackskonstante

Ein weiteres Kriterium für Dienemann ist der Kunde. Der erwartet ein gleich bleibendes Aroma seiner Assam-Lieblingssorte oder des halb fermentierten Oolong Tees, und zwar über Jahre hinweg. Für Dethlefsen & Balk ist das eine besondere Herausforderung, denn die Witterungsverhältnisse in den Anbaugebieten können den Geschmack und die Qualität der Ernte stark beeinflussen. Zu wenig Sonne, Monsunregen, Dezimierung einer ganzen Ernte durch plötzlichen Nachtfrost, alles schon da gewesen. Hut ab, sagt Meier, wie seine Leute die Sorten dennoch immer wieder richtig zusammenmischen und den Qualitätsstandard erreichen. „Das ist hohe Kunst.“

„Learning by doing“, nennt es Dienemann nüchtern. „90 Prozent der Arbeit ist Routine.“ Einzig nach der mehrmonatigen Vegetationspause der Teebüsche bräuchten seine Geschmacks- und Geruchsrezeptoren zunächst einen Anlauf, bevor es wieder losgehen könne. Aber auch das gehe überraschend schnell, sagt er, meistens innerhalb von zehn Minuten oder zwei Verkostungsrunden. Wichtige Aroma-Entscheidungen aber sollte man lieber vor dem Mittagessen treffen. Sollte. Denn in den alten Tagen, wird erzählt, habe es Koryphäen in den Labors gegeben, die den Tee auch noch zwischen zwei Zigarrenlängen punktgenau abschmecken konnten.

Tütensuppen und Äpfel

Dienemann stellt bei sich selbst keine „deformation professionelle“ fest. Tea-Taster sei ein großartiger Beruf, aber es führe nicht soweit, dass ihn seine Geschmacks-Sensibilisierung bis in den Alltag verfolge. Einem jungen Auszubildenden geht das anders. Er schnuppere neuerdings im Supermarkt in der Obstauslage an Äpfeln, gesteht Philipp Röttgen. „Früher bin ich daran vorbeigegangen. Jetzt prüfe ich die Äpfel auf ihre Frische.“

So glimpflich geht es nicht immer aus. Geschäftsführer Meier erinnert sich an einen ehemaligen Tea-Taster, der in der Mittagspause plötzlich begann, seine Suppentüte zu schlürfen. Der Mann hatte es drauf angelegt, jede Nuance des Industrieproduktes herauszuschmecken. Meier: „Das war irgendwann nicht mehr ganz so witzig.“

Eine Frage des Geschmacks, wie der im Foyer des Konzerns gereichte Dethlefsen & Balk-Früchtetee für die Gäste von der Zeitung. Während der Fotograf es vorzog, sich dem Getränk lediglich auf professionelle Weise zu nähern, attestierte der Berichterstatter der Frucht-Kreation eine Note „Punica“ und trank die Kanne alleine leer.