Der Sture

Die taz ist besetzt. Mal wieder. Als die RedakteurInnen morgens in der Rudi-Dutschke-Straße eintrudeln, stellen sie fest: Die Mäuse ihrer Computer sind geklaut. Einkassiert und gebunkert von einer handfesten Gruppe Studierender, die ein Propagandainstrument für ihren Streik an der Uni brauchen. Da bietet sich die kleine Zeitung doch geradezu an. Nicht nur politisch, auch praktisch. Ins taz-Gebäude kann übers Café jeder hereinspazieren; schräg gegenüber im Springer-Haus ist die flughafenähnliche Sicherheitsschleuse samt Wachpersonal deutlich schwerer zu überwinden.

Jedenfalls toben die BesetzerInnen durch die Redaktion, halten Plena ab, debattieren mit den tazlerInnen. Und dann versuchen sie, die Eingangstür zum Gebäude zu blockieren. Ich bin im Treppenhaus, höre den Lärm und laufe ins Erdgeschoss. Und da sehe ich Kalle, unseren Geschäftsführer – doch ich erkenne ihn kaum wieder. Er steht allein in einer aufgebrachten Menge junger Männer und geht körperlich ganz schön zur Sache. Setzt Schultern und Ellenbogen ein, drängt seine Gegner ab, zerrt sie weg, um die Eingangstür freizubekommen. Ich staune. Unser verhaltener Kalle – ein Straßenkämpfer. Und es macht ihm Spaß! Mir dämmert, dass er in seiner Vergangenheit noch etwas anderes getan haben muss, als die taz mitzugründen.

Wahrscheinlich hat er sich auch deshalb im Rauf und Runter, im Hin und Her der taz-Geschichte als ihr Schon-immer-Geschäftsführer behauptet. Und für das Überleben des Blattes gesorgt. Ohne Kalle – keine taz. Das ist ganz klar. Dabei sind Geschäftsführer in Zeitungen, das muss mal gesagt werden, grundsätzlich nicht zu beneiden. Schließlich haben sie es mit Redaktionen zu tun. Wer das Selbstbewusstsein, das gut entwickelte Ego und die ausgeprägte Streitlust vieler RedakteurInnen und deren ChefInnen kennt – da nehme ich mich keineswegs aus – weiß, wovon die Rede ist. Redaktionen lassen sich weder problemlos lenken noch leicht führen. Wenn sie gut sind.

Kalle zog daraus die Konsequenz, das erst gar nicht zu versuchen. Weil er die redaktionelle Freiheit enorm hochhält. Aber auch, weil er sich immer gern als Widerpart der Redaktion inszeniert. Und dazu gehört nun mal, wenig zu erklären. Tatsachen zu schaffen. Bereits in Zeiten, als die taz noch ein politisches Projekt war und basisdemokratisch regiert, konnte er aus jedem redaktionellen Überschwang mit einem Satz die Luft rauslassen: „Ihr könnt entscheiden, was ihr wollt, nur Geld gibt's dafür nicht.“

Ist es da ein Wunder, dass es zwischen uns nicht selten richtig laut wurde? Besser gesagt, ich wurde irgendwann laut. Kalle tat meist ziemlich cool. Es gibt keinen Mann, mit dem ich mich – meinen Vater ausgenommen – so viel gestritten habe. Das hab ich Dir, lieber Kalle, oft genug um die Ohren geschlagen. Es ist ein Kompliment! Und kommt von Herzen! Bascha Mika

■ Bascha Mika, Chefredakteurin 1998 bis 2009