groschengrab von WIGLAF DROSTE
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Die ausgeleierte Lederpuppe Klaus Maria Brandauer inszeniert in Berlin die „Dreigroschenoper“, lässt sich vom Hartmut-Mehdorn-Fachmagazin mobil dafür als „Provokateur“ abfeiern und brüllt vom Plakat: „Ich mach’s bühnenreif.“ Von mir aus gern, solange ich das nicht ankucken muss. Der Berufsschleimer Campino, der den Mackie Messer gibt, rückt seinem Regisseur das Leibstühlchen zurecht und sekundiert: „Ich mach’s zum ersten Mal.“ Schon lustig, was alles in den Rang einer Nachricht erhoben wird.

In der Frankfurter Rundschau teilte Campino mit: „Wir hatten in der Schule ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ durchgenommen. Das Stück war mir weder verhasst, noch habe ich es geliebt. Nur war ich in den Deutschstunden damals nie richtig bei der Sache. Ich hatte andere Sachen im Kopf als den Unterrichtsstoff. Ich war frisch sitzen geblieben. Das war für mich keine leichte Zeit. Im Landschulheim habe ich eher drauf geachtet, dem Lehrer Messer und Gabel aufzuheben, wenn sie runterfielen, um auf diese Weise etwas für meine Versetzung zu tun. Brecht war okay.“ Genau so ist er, unser Klassenstreberpunk.

Vielleicht zieht das Stück ja auch fiese Charaktere an – schon Ernst Busch als Mackie Messerrrrrrr war einfach nur grau-en-haft. „Und der Hai-fisch, der hat Zäh-ne, und die trägt er im Ge-sicht“ – man kann diese Scheiße nicht vernünftig singen.

1968, knapp vier Jahrzehnte nach ihrer Berliner Uraufführung, erschien die „Dreigroschenoper“ von Brecht und Weill erstmals vollständig auf Tonträger. Die Besetzungsliste der Aufnahme klingt so gemischt wie viel versprechend: Als Sprecher und Sänger hört man unter anderen Karin Baal, Hans Clarin, Franz Josef Degenhardt, Berta Drews, Martin Held und Helmut Qualtinger, und der musikalische Leiter, James Last, damals noch kaum bekannt, gilt heute ja zumindest bei Easy-Listening-Hörern als guter Musiker.

Ach, sie hatten es schwer, die 68-er. Jede öffentliche und private Äußerung überprüften sie pingelig auf ihre tatsächliche oder vermeintliche politische Relevanz. Da es eine eigene, aufgeklärt bürgerliche bis linke politische Kultur nach 1945 in Deutschland nicht mehr gab, griff man auf Kunst aus der Zeit vor 1933 zurück. So kam auch die „Dreigroschenoper“, nicht gerade Brechts gelungenstes Werk und auch 1968 schon reichlich angestaubt, noch einmal zu neuen politischen Ehren.

Jetzt, fast 40 Jahre später, wird diese Aufnahme von Polydor/Universal abermals hervorgekramt und neu aufgelegt. Zeitdokumentarische Gründe kann man gelten lassen, aber sonst? Die „Dreigroschenoper“ geht nicht, sie ist – und war es 1968 schon – gleichermaßen unsingbar wie zersungen, durchgenudelt und ausgelutscht wie das „Girl from Ipanema“ das „House of the Rising Sun“ oder „Blowin’ in the Wind“. Was von Anfang an keine besonders gute Idee war, ist durch Endlosrepetition zu Folklorequal geronnen und von Schreckenskrempel wie „Fiesta Mexicana“ oder „Einigkeit und Recht und Freiheit“ allenfalls in Nuancen zu unterscheiden.

Archivausgrabung? Man soll die Toten ruhen lassen, ganz besonders dann, wenn es sich um Tote Hosen oder andere abgelebte Kunsthandwerke handelt.