Kaum mehr als drei Minuten

TECHNO Der Berliner Musiker Shed reist auf seinem zweiten grandiosen Album durch die Geschichte des Techno. Dabei klingt er völlig gegenwärtig und eigen

Manche Musiker tauchen scheinbar aus dem Nichts auf. Sheds Debütalbum „Shedding the Past“ wurde vor zwei Jahren als eines der besten Techno-Alben des Jahrgangs gefeiert, ohne dass man vorher groß von ihm gehört hatte. Dabei veröffentlicht er schon seit 2003 auf seinem Plattenlabel Soloaction eigene Tracks. Für den soeben erschienenen Nachfolger muss er hingegen nicht groß um Aufmerksamkeit fürchten: Mit „The Traveller“ beweist Shed erneut, dass er nicht nur weiß, wie ein Club funktioniert, sondern auch, wie man die Syntax von Musik für die Tanzfläche in Langspielform übertragen kann.

Unter dem Namen René Pawlowitz 1975 in Frankfurt (Oder) geboren, ist Shed seit der Techno-Explosion zu Beginn der Neunziger der Faszination der Maschinenmusik erlegen. Besonders der Sound der Stadt Detroit mit ihrem kalten, bisweilen brutal kaputten Futurismus hat es ihm angetan. Aber auch die britische Rave-Kultur hat sich fest in sein musikalisches Gedächtnis eingeschrieben. Referenzen an diese Zeit kann man überall auf „The Traveller“ heraushören, doch ist Shed weit davon entfernt, mit seiner Musik ein Neunziger-Revival einzuleiten.

Historisch informiert

Bei Shed, der im Berghain als DJ auflegt und im legendären Berliner Plattenladen Hardwax arbeitet, laufen die Einflüsse vollkommen natürlich ineinander, kristallisieren sich vorübergehend zu einer bohrenden Acid-Basslinie, um wenig später von weißem Rauschen wieder fortgespült zu werden. Einzelne Elemente setzt er so zusammen, dass sie zwar noch zu erkennen sind, aber nach etwas völlig anderem klingen. Diese historisch informierten Experimente machen seine Musik so spannend und neu, ohne dass er irgendeinen Trend bedienen würde.

Im Grunde ist es etwas irreführend, hier von Techno zu sprechen. Denn wer bei dieser Platte martialisch durchhämmernde Beats erwartet, wird über weite Strecken enttäuscht. Statt eine Reihe von Tracks zu versammeln, entfaltet Pawlowitz in einer guten Dreiviertelstunde ein Panorama unterschiedlicher Stimmungen, mal mit, mal ohne Drumcomputer, deutet vieles mit wenigen Strichen an, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Oft entwickeln die Geräte einen ganz eigenen Swing, um sich im letzten Stück unerwartet in heftig synkopierten Breakbeats zu entladen, wie man sie seit frühen Jungle-Tagen nicht mehr gehört hat. Dafür braucht es meistens kaum mehr als drei Minuten.

Alles ganz neu

Dass Pawlowitz mit seinen Vorlieben nicht in der Vergangenheit stehen geblieben ist, merkt man an Nummern wie „The Bot“, in der die aktuellen Strömungen Londoner Bassmusik wie Dubstep mit seinem verschleppten Beat minutiös seziert und in skelettierter Form dargeboten wurden. Hier wird besonders deutlich, dass eine der großen Stärken von Shed in seiner Fähigkeit zur Reduktion besteht.

Zum Tanzen ist das Album nicht unbedingt gedacht, dafür produziert Pawlowitz unter Namen wie Wax, EQD oder The Panamax Project klassische Tracks für den Club. Einige seiner Kollegen wie Tama Sumo, ebenfalls DJ im Berghain, nie ohne eine Platte von ihm in der Tasche zur Arbeit gehen. Wer sich für Musik aus Strom begeistern kann, dem sei diese Platte mit den besten Empfehlungen ans Herz gelegt.

■ Shed: „The Traveller“ (Ostgut Ton)