Die zwei Gesichter des Kaufmanns

SCHAUSPIEL KÖLN Stefan Bachmann inszeniert Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ und lässt nichts aus

Antonio, der Kaufmann von Venedig, ist der große Leidensmann dieses Abends. Gerrit Jansen spielt ihn denn auch im Schauspiel Köln – eine Spur zu theatralisch. Ein mal melancholisch, mal streng dreinschauender Kahlkopf in schwarzem Edeloutfit mit Fuchspelz um den Hals. Manchmal muss er wanken und sehr tapfer gucken, so nimmt ihn sein Schicksal mit.

Dabei ist der junge Mann ein wohlhabender Bürger auf dem Handelsplatz Venedig, ein Entrepreneur, der riskante Geschäfte wagt. Seine Schiffe sind auf den Weltmeeren unterwegs, er ist vermögend, wenn auch nicht flüssig. Aber Geld ist eben nicht alles.

Antonio liebt seinen aristokratischen Freund Bassanio (Simon Kirsch). Und das macht ihn traurig. Und wütend. (Viel von seiner folgenden Wut auf den Juden Shylock speist sich aus seiner enttäuschten Liebe.) Vielleicht weil Liebe immer auch traurig und wütend macht, ebenso sicher aber, weil Bassanio (auch) eine Frau liebt, Porzia (Yvon Jansen), um die er um jeden Preis wirbt – auch wenn er vom aristokratischen Lotterleben schon ganz blank ist. Am liebsten haut Bassiano mit seinen lackaffigen und misogynen Christenkumpels Graziano (Yuri Englert) und Lorenzo (Jakob Leo Stark) so richtig auf die Kacke.

Der Regisseur Stefan Bachmann schenkt Antonio im Schauspiel Köln zwei Texte zu Beginn und am Ende des Abends, die nicht im Stück stehen. Gerrit Jansen singt sie. Beides sind berühmte Sonette Shakespeares, die als Texte über homosexuelle Liebe gelten. Ivan Nagel, Theaterhistoriker und Shakespeare-Liebhaber, hat viele davon als Liebesgedichte Antonios an seinen Freund Bassanio beschrieben, die Shakespeare aus dem „Kaufmann“ ausgelagert habe. Bachmann übernimmt diese Lesart also.

Vier Plots sinnenfroh

Doch schlägt er nicht wirklich Kapital daraus. Shakespeare konnte oder wollte das zeitbedingt nicht. Heute wäre es möglich, ginge aber auf Kosten des Textes, der die Homosexualität Antonios nur punktuell andeutet. Ein bisschen zeigt sich in dieser Haltung des Intendanten das Problem des Abends. Man verlässt das Theater am Ende durchaus beschwingt und gut gelaunt. Das ist ja schon viel! Bachmann weidet sich mit sichtlichem Spaß an den Romantic-comedy-Anteilen des Stücks. Liveband, Livegesang, Liebeskonfettiregen, alles da. Insgesamt aber ist die Inszenierung kein großer Wurf. Eine starke Lesart des Stücks ist nicht auszumachen, sieht man von der Betonung von Antonios Liebe zu Bassanio ab, die aber in der Fülle der anderen Geschichten, mit denen Shakespeare das Stück überladen hat, nicht heraussticht.

Bachmann, das ist nicht neu, mag es sinnenfroh und erzählfreudig. Er spielt die ganze Komödie und verwendet überall dasselbe Maß an inszenatorischer Energie. Ihm gerät alles gut. Aber nichts wirklich überraschend oder gar überwältigend.

Auch der Shylock-Plot gelingt ihm stark – vor allem weil Bruno Cathomas ihn hervorragend spielt. Er tritt dezent traditionell jüdisch gekleidet auf, in schwarzem Kaftan und schwarzem Hut, aber ohne Schläfenlocken. Shakespeare hat in dieser Figur alle Ingredienzien untergebracht, die das Bild des Juden seiner Zeit bereithielt. Antisemitische eingeschlossen. Bachmann setzt an diesem nicht überbetont kritisch an. Er überlässt es Cathomas, den Juden auszufüllen, wie Shakespeare ihn vorgegeben hat.

Also verlangt Shylock erstens das berühmte Pfand aus seinem Schuldschein: ein „Pfund Fleisch“ aus Antonios Körper, falls der seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Der Kaufmann wurde von Shylock abhängig, weil er seinem Geliebten Bassanio Geld für dessen Liebeswallfahrt zu Porzia zu geliehen hat. Also hält Shylock zweitens seinen gleichfalls berühmten Monolog („Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? …“), in dem er seine Christengegner um Empathie mit seinem geschundenen, seit Jahrhunderten stigmatisierten Volk bittet. Cathomas findet für beide Seiten Shylocks den jeweils richtigen Ton: mal penibel Vertragswort-besessen, berechnend nach „Rache!“ brüllend und mal besonnen, leise und mitleiderregend.

„Der Kaufmann von Venedig“ macht es keiner Regie leicht, weil Shakespeare mindestens vier Plots gleichrangig behandelt. Bachmann hat sich zu sehr in die romantische Liebeskomödie darin verguckt. So sieht man an diesem Abend ziemlich viel Musical, Kitsch und Co inklusive. Die Premieren-Kölner haben’s ihrem Intendanten gedankt. Is’ ja gleich Karneval. ALEXANDER HAAS