Psychisch Kranke außer Kontrolle

FALL WUNSTORF Niedersachsen hat bei der Klinikprivatisierung 2007 auch seine Psychiatrien verkauft, seitdem hat das Land die Fachaufsicht nur bei Zwangseinweisungen. Ein Fehler, findet die jetzige Sozialministerin

Grelles Neonlicht, die Betten im Gemeinschaftsraum dicht nebeneinander: So mussten zwölf Demenzkranke im Januar 2013 eine ganze Nacht in der Altenpsychiatrie des Klinikums Wunstorf verbringen. Ein Jahr ist es her, dass die Kommission zur Kontrolle der Psychiatrien in Niedersachsen den Vorfall publik machte, auf den sie bei einem unangekündigten Besuch gestoßen war.

Auch Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD), damals seit wenigen Wochen im Amt, erfuhr von dem Vorfall erst aus der Zeitung. In den privatisierten Psychiatrien fehlten ihr schlicht die Kontrollmöglichkeiten, beklagte sie damals. „Die Fachaufsicht endet dort, wo die Freiheit der Träger beginnt“, heißt es noch heute aus Rundts Ministerium. Dies sei „ein Fehler“, der beim Verkauf der Landeskrankenhäuser gemacht wurde und der „einen besonders sensiblen Bereich“ betreffe.

2007 hatte die schwarz-gelbe Vorgängerregierung acht Landeskrankenhäuser, darunter das Klinikum Wunstorf, verkauft – die Psychiatrien inklusive. Einzig bei der Unterbringung psychisch kranker Straftäter, dem Maßregelvollzug, ruderte man von den Privatisierungsplänen zurück: Zwei Kliniken blieben in Landesträgerschaft, und wo es Maßregelvollzug in privatisierten Häusern gibt, sind Landesbeschäftigte zuständig.

Daneben hat das Land nur noch bei den sogenannten Zwangseinweisungen direkte Einflussmöglichkeiten: Die Fachaufsicht über jene Kliniken, in die nach dem niedersächsischen Psychisch-Kranken-Gesetz zwangseingewiesen wird, liegt beim Sozialministerium.

Für die sonstigen Psychiatriebereiche gilt das aber nicht. Zwar wird immer wieder über Personalmangel und Lohndumping in den psychiatrischen Kliniken berichtet, doch das Ministerium hat keine direkte Kontrolle über Personalschlüssel oder -verordnungen.

Das Klinikum Wunstorf begründete den Vorfall von Januar 2013 übrigens schlicht mit Überbelegung: Die Psychiatrie darf keine Patienten abweisen. In eben jener Nacht habe man quasi aus der Not die Demenzkranken im Gemeinschaftsraum untergebracht, damit das vorhandene Personal sie jederzeit im Blick haben konnte. Inzwischen hat das Klinikum seine Nachtbesetzungen von zwei auf drei Vollzeitstellen aufgestockt. Aus Wunstorf wurden laut Sozialministerium seither keine Missstände mehr gemeldet.

Indes lassen die rechtlichen Konsequenzen, die Sozialministerin Rundt 2013 angekündigt hatte, immer noch auf sich warten. Man arbeite derzeit an einer Novelle des Psychisch-Kranken-Gesetzes, die wegen eines Bundesverfassungsgerichtsurteils von 2011 nötig ist, erklärt eine Sprecherin. Dabei sollen auch eine Neuregelung der Fachaufsicht geprüft werden.

Seit dem Vorfall in Wunstorf müssten die Kliniken immerhin jährlich melden, wie viele Vollzeitstellen besetzt sind. Zudem will man ab 2015 die Kontrollen verschärfen.  THA