Wenn Geschichte zu elastisch wird

Rosemarie Beier will die historischen Museen als Teil der „Zweiten Moderne“ beschreiben. Dieses Konzept geht jedoch nicht auf

Sinnvoll und schon längst überfällig ist es, historische Museen und Ausstellungen als Wortführer in der gesellschaftlichen Diskussion zu untersuchen. Rosmarie Beier-de Haan widmet sich in ihrem Band „Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte“ nationalen und national bedeutsamen Museumsinstitutionen und -projekten im internationalen Vergleich.

Schon oft ist untersucht worden, wie das Kino, das Theater oder Essays die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft thematisieren. Welche Mittel Museen dazu nutzen, dagegen nicht. Rosmarie Beier leistet hier Pionierarbeit. Das ist ein ambitioniertes Projekt, das geradezu nach einer präzisen Fragestellung schreit. Doch welche Frage ist für einen so umfassenden Untersuchungsgegenstand eigentlich die richtige?

Rosmarie Beier fragt danach, inwieweit Museen – verstanden als Indikatoren der Geschichtskultur – in die Zweite Moderne eingetreten sind. „Zweite Moderne“ definiert sie als Globalisierung (bei gleichzeitiger Schwächung der Nationalstaaten), Individualisierung (erkennbar an der Auflösung traditioneller Bindungen und Sicherheiten) und Inszenierung (Öffnung des Diskurses über die Interpretation von Geschichte). Dabei lässt sie sich nicht davon irritieren, dass Museen, die traditionell ihren Blick auf die Gegenwart und Vergangenheit richten, zunächst mit dieser Definition der Zweiten Moderne, die auf Gegenwart und Zukunft gerichtet ist, nicht kompatibel zu sein scheinen: Nationalmuseen, seien sie neu gegründet oder traditionsreich, stärken tendenziell die nationale Identität.

Sie setzen der Individualisierung Grenzen, indem sie die Vor- und Nachteile traditioneller Sicherheiten aufzeigen, und schließlich vertreten sie, zumindest soweit es sich um Gedenkstätten handelt, eindeutige Positionen zur Interpretation der Geschichte. Das Ausmaß an Inszenierung, oder auch: Showeffekten, die dafür eingesetzt werden, scheint Modewellen zu unterliegen, die in großen Zyklen um die Welt schwappen.

Und so kämpft sich die Autorin mit schwerem methodischem Gerät durch unwegsames Gelände. Im ersten Kapitel beschreibt sie zunächst die Nationalmuseen von Neuseeland, Südafrika und Deutschland und charakterisiert sie als „Nationen verbindende Nationalmuseen“. Anschließend widmet sie sich den im Entstehen begriffenen Europamuseen in Brüssel und Turin, die sie schließlich als „Nationen vereinende transnationale Museen“ benennt.

Weiter geht es über das Historial de Péronne, das die Perspektiven aller beteiligten Kriegsgegner des Ersten Weltkrieges gleichzeitig und gleichberechtigt darstellt, das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst und das Imperial War Museum in London, die ebenfalls abschließend ihr Etikett bekommen („transnational Empathie stiftendes Territorialmuseum“).

Im nächsten Kapitel geht es dann um Museen und Ausstellungen, die an kollektive und persönliche Erinnerungen anknüpfen und Erinnerungsgemeinschaften evozieren oder versuchen zu erzeugen. So etwa um Ausstellungen zur Alltagskultur der DDR, Ausstellungen zum Holocaust oder die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. Abschließend widmet sich Rosmarie Beier stark inszenierten Ausstellungen, wie etwa dem Themenpark der Expo 2000.

Das könnte alles sehr interessant sein. Doch es krankt an verschiedenen Punkten. Da ist zunächst der verschraubte Stil: „So scheint bei Burke die Elastizität von Geschichte als soziales Gedächtnis leicht überstrapaziert zu sein.“ Exzessives Namedropping, unübersetzte fremdsprachige Zitate und bis zur Unverständlichkeit distanzierte Paraphrasen. Ganz faszinierend wird es, wenn Rosmarie Beier ihre eigene Ausstellung „Lebensstationen“, die 1993 im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen war, als Beispiel heranzieht und dann, ohne ihren eigenen Namen zu nennen, sich selbst aus dem von ihr herausgegebenen Katalog zitiert.

Schwer kann der Leser der Autorin folgen, wenn er die von ihr behandelten Ausstellungen und Museen nicht aus eigener Anschauung kennt, da der Band keine Abbildungen enthält. Rosmarie Beier verzichtet weitgehend darauf, die von ihr herangezogenen Ausstellungen zu beschreiben. Das ist einerseits nachvollziehbar, denn im Gegensatz zur Kunstgeschichte oder auch zur Filmkritik gibt es bislang keine Standards der Museumsbeschreibung. Doch andererseits ist es ein wenig anschaulicher Ausweg, stattdessen auf Selbstdarstellungen von Museen auf ihren Homepages, Berichte von Kuratoren oder Rezensionen in Zeitungen zurückzugreifen. Welcher Filmwissenschaftler stützt seine Bewertung eines Filmes auf den Pressetext des Verleihers?

Ob und in welchem Maße historische Museen und Ausstellungen nun in die Zweite Moderne eingetreten sind, wäre eigentlich nebensächlich, wenn es der Autorin gelungen wäre, die Ausstellungen als das vorzustellen, was sie eigentlich sind: Stimmen im intellektuellen Diskurs einer Gesellschaft an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst. SABINE VOGEL

Rosmarie Beier-de Haan: „Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte. Ausstellungen und Museen in der Zweiten Moderne“. Edition Zweite Moderne, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, 350 Seiten, 18 Euro