Ein Elefant im Kohlenpott

Der Bildhauer Johannes Brus trauert um Indianer, Elefanten und die Kohlenpott-Industrie. Das Bremer Gerhard Marcks Haus zeigt seine Denkmäler für einen Welt, in die es kein Zurück mehr gibt

von Annedore Beelte

Es fügt sich als riesige Kuppel nahtlos in die Silhouette von Kühlbecken, Schornsteinen und Werkshallen. Wäre da nicht die typische faltige Textur eines Elefantenhinterns. Den schrundigen Hautfalten wie aufgeprägt wiederum erscheint eine Seriennummer, die an ein industrielles Werkstück erinnert. Und es kommt noch dicker als der Elefantenpo auf den übereinander belichteten und mit Chemikalien malerisch verfremdeten Fotografien von Johannes Brus: Da mischen sich Fundstücke aus der Kohlenpott-Archäologie mit Dickhäuter-Gerippen, bis die Unterschiede verwischen.

Brus ist zu Gast im Gerhard Marcks Haus. Und so viel wird schnell klar: Der Bildhauer wandert mutwillig auf der Schwelle von Kunst und Kitsch. Einmal widmete er eine Ausstellung dem sprichwörtlichen röhrenden Hirsch. Bei dieser Gratwanderung lässt es sich kaum vermeiden, dass der Fuß mal auf der einen und mal auf der anderen Seite auftippt. In den Fotografien und Skulpturen, die er für die Installation „Oxygenstahlwerk III – Wasserwerk Ruhrstraße“ in der Essener Zeche Zollverein schuf, kreuzen sich zwei unterschiedliche Diskurse mit jeweils eigener Kitsch-Affinität: Zum einen die Industrie- Romantik, die nach Männerschweiß riecht, und zum anderen die zartfühlende Öko-Nostalgie, die mit der Kreatur leidet. Beide kollidieren in der riesigen Gummiplastik eines Elefantenkopfes, der anklagend hingegossen daliegt. Ihm fehlen die Stoßzähne, was auch den tumbsten Öko-Muffel an die erbarmungslose Jagd aufs Elfenbein gemahnen muss. Vor dem Kopf sind zwei Graphitelektroden arrangiert. Gewissermaßen als Zahnprothesen. Was uns die Metapher lehren will, bleibt dunkel: Wurden die Zechen ausgerottet auf der Jagd nach Graphitelektroden? Sollten Nostalgiker statt zu klagen nach unkonventionellen Lösungen fahnden? Wie zum Beispiel, Industrieruinen zu Künstlerateliers umzufunktionieren. In einem solchen wirkt Johannes Brus in Essen, wenn er nicht gerade an der Braunschweiger Hochschule für bildende Künste unterrichtet. Viele seiner Werke gehen auf Industrieschrott zurück, den er beim Bezug seines Ateliers fand.

„Oxygenstahlwerk III“ muss überwältigend gewirkt haben mit der Kokille im Mittelpunkt. Um das Verrücken dieser 14 Tonnen schweren Stahl-Gussform zu finanzieren, musste eigens ein Sponsor gefunden werden. Ins Marcks Haus passt gezwungenermaßen nur die Setzkasten-Version der monumentalen Installation. In den Modellen ist zu erkennen, wie Brus um die Kokille herum Trümmer der Elefanten-Gussform arrangiert hat. Der Elefant wiederum ist von industriellen Fehlgüssen aus Stahl, Kurbelwellen und Elektroden umlagert. Ist jeder Malocher ein Künstler? Wäre Kunst auch bloß Drecksarbeit?

1964 hatte Brus begonnen, an der Düsseldorfer Akademie klassische Plastik in der Klasse von Karl Bobek zu studieren. Notgedrungen, wie er versichert: Die Plätze wurden zugeteilt. Weil er in der Bildhauerei kein Weiterkommen sah, verlegte er sich auf die Fotografie.

Erst mit der Arbeit „Drei Plastiken für Amerika“ entdeckte er 1976 die Skulptur wieder. Kein stolzer Mustang, sondern ein kleines dickes Pony mit hängendem Kopf grast hier für Amerika. Und, oh ja, es ist blau. Blaues Pferd – da war doch mal was…

Wenn schon, denn schon, sagte sich Brus, und nannte die dazugehörige Fotoserie „Franz Marc und die Wilden“. Die Fotos zeigen, verwischen und verbergen den zum Pony gehörigen Cowboy mit Bauchansatz und Hängebacken.

Der zweite Teil der „Plastiken für Amerika“ feiert genaugenommen ein genuin europäisches Produkt: Ein Wolkenkratzer-Modell ist aus gegossenen Schokoladentafeln errichtet. Erst der dritte Teil verweist pfeilgerade auf Amerikas Ureinwohner: Die Skulptur ist der indigenen Schnitzerei einer Elster, eines kultisch verehrten Tiers bei den Indianern, nachempfunden. Doch auch hier weist der Finger weiter nach Europa, zu Franz Marcs Auffassung vom Tier als beseeltem Wesen, das Göttlichkeit in sich trägt. Und direkt zu den verklärten Träumen europäischer Stadtmenschen von der Freiheit und Ursprünglichkeit der Indianer, sprich: zum Kitsch.

Am überzeugendsten wirkt Brus Symbolsprache in den weniger monumentalen Arbeiten. Da stemmt ein Mann ein Geweih wie ein Gewichtheber, und die eichenschwere Bürde des Traditionskitsches bekommt etwas Federleichtes. Diese Plastiken täuschen mit ihrer rauhen Oberfläche eine Entstehung unter dem Meißel vor. Doch es handelt sich fast immer um Guss-Erzeugnisse, die Brus erst später mit dem Beil und anderen Werkzeugen bearbeitet. Zwei Gestalten betrachten fasziniert, wie sich eine goldene Kugel aus einer tönernen Hülle schält: Eine nahezu anrührendes Bekenntnis zur klassischen Bildhauerei, das völlig ohne halsbrecherische Metaphern auskommt.

Gerhard Marcks Haus, Bremen. Eröffnung Sonntag, 11 Uhr. Bis 12. 11.