Digitaler Führungsstil

Dirk Bauermann ist der erfolgreichste Basketballtrainer Deutschlands. Er betreut die Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Japan mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit

AUS HIROSCHIMA MARTIN FÜNKELE

Dirk Bauermann sitzt im 22. Stock des Hotels Prince über dem Hafen von Hiroschima. Hier hat die deutsche Basketball-Nationalmannschaft während der ersten WM-Woche logiert. Bei mäßiger Kost und eingeschränktem Komfort. Doch darum geht es Bauermann nicht. Er starrt eine Plastikflasche mit seinem Lieblingsgetränk an und sagt: „Das ist, als ob ein Weinkenner aus einem Tetrapak trinken muss.“ Der Bundestrainer spricht von Cola, genauer Cola light – dem Getränk, dem er während seiner Zeit als Ko-Trainer an der Fresno State University verfallen ist. Die endlos langen Videoanalysen hätte er ohne eine Extraportion Koffein nicht überstanden. Heute ist er süchtig nach der braunen Brause und deshalb trinkt er auch aus der PET-Flasche, obwohl „der richtige Geschmack sich nur in einer Dose entfaltet“.

Über diesen Satz müsste man eigentlich lachen. Doch Bauermann verbreitet eine Ernsthaftigkeit, die keine Zweifel duldet. Den erfolgreichsten Basketball-Trainer Deutschlands bei einem spontanen Spaß zu ertappen, ist selten. Einem Fotografen hat er einmal verboten, ihn beim Lachen zu fotografieren – aus Sorge um sein Image. „Ich glaube, dass sich die meisten Trainer, die Erfolg in ihrem Geschäft haben, durch eine gewisse Souveränität auszeichnen“, sagt er. Acht deutsche Meisterschaften, fünf Auszeichnungen als Trainer des Jahres, eine EM-Silbermedaille – Bauermann steht für Erfolg wie für seine schwarzen Anzüge, die er sich en gros zugelegt hat, um der täglichen Kleiderwahl ein Ende zu bereiten.

Sein Führungsstil ist digital: „Es gibt nur drinnen oder draußen“, sagt er. „Wenn das Ich wichtiger wird als das Wir und Spieler versteckte Agendas haben, muss das Konsequenzen haben.“ Als Julian Sensely, der Amerikaner mit deutschem Pass, nach einer Auswechslung wütend das Handtuch auf den Boden pfefferte, stellte Bauermann den Neuling im Nationalteam sofort zur Rede. Am nächsten Tag hatte der eine Magenverstimmung – zwei Wochen später saß er im Flieger Richtung USA. „Ich habe verstanden, dass Sport nur mit Regeln erfolgreich sein kann. Anarchie funktioniert da nicht.“ Kein erfolgreicher Trainer könne „falsch verstandene Demokratie zulassen“. Doch dieselben Regeln, die zwischen den Linien eines Basketballcourts das Gesetz darstellen, sind im normalen Leben nichts wert. „In der Erziehung meiner Tochter bin ich komplett unfähig“, gesteht Bauermann. „Hier halte ich keine Regeln ein, kann auch keine Konflikte austragen – was ich als Trainer ständig muss.“

Man ist sich nicht sicher, ob man ihm trauen kann. Der plötzlich gewährte Blick in sein Seelenleben kommt so unverhofft, dass er ein kalkuliertes Manöver sein könnte. Denn über Dirk Bauermanns Handeln steht immer dieselbe Maxime: zu gewinnen. „Erfolg muss die höchste Priorität haben, weit höher noch als Geld“, sagt er. Würde er sich für den Erfolg gegen die eigene Tochter entscheiden? Für den Sieg mutiert der eloquente Gentleman schließlich auch zum übel wütenden Kotzbrocken; seine Schiedsrichterbeschimpfungen lassen sich nicht zitieren. Und für den Erfolg verleugnet Bauermann selbst seine eigene Überzeugung. Als die Basketball-Bundesliga vor einem Jahr sämtliche Ausländerbeschränkungen aufhob, wetterte er: „Diese Entscheidung wird die Nationalmannschaft und auch die Liga nochmals treffen. Es ist schlimm, wenn der Druck von den Vereinen genommen wird, Spieler selbst zu entwickeln, weil sie billige Profis vom Balkan oder woher auch immer verpflichten können.“ In Bamberg, wo Bauermann seit fünf Jahren Trainer ist, spielte außer Nationalspieler Steffen Hamann kein deutscher Spieler eine nennenswerte Rolle. Dafür trat Bamberg in der europäischen Königsklasse, der Euro-League an – und das sehr erfolgreich.

Der vor 48 Jahren in Oberhausen geborene Trainer kennt auch die dunkle Seite seines Berufs. Vielleicht lieg es daran, dass er so radikal zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden kann. Ein bisschen ähnelt er dabei Kiefer Sutherland, der als Jack Bauer in der amerikanischen Actionserie „24“ emotionslos eine tödliche Mission nach der anderen übersteht. Bauermanns Abstieg begann, nachdem er mit Leverkusen Anfang der 90er sieben Meisterschaften in Folge gewonnen hatte. Danach war er plötzlich nicht mehr wichtig. Er versuchte sich in Belgien, scheiterte in Griechenland und versenkte in Hagen mit einem ehrgeizigen Projekt viel Geld. Zwischenzeitlich sah er sich in Athen mit der Pistole eines gereizten Clubpräsidenten konfrontiert. „Daran wären andere vielleicht zerbrochen“, sagt er. Ihn hat es stärker gemacht. Zurück in Deutschland gewann in er seinem dritten Jahr mit Bamberg die Meisterschaft. Mit zwei verschiedenen Clubs war das in Deutschland noch niemandem gelungen.

Seine Cola hat Bauermann längst ausgetrunken. Auch das Hotel Prince ist verwaist. Der DBB-Tross ist nach Saitama weitergezogen. Dort trifft die deutsche Mannschaft im WM-Achtelfinale am Sonntag (3 Uhr, DSF) auf Nigeria. Einen Sieg vorausgesetzt, heißt der Viertelfinalgegner dann USA. Das Team um die NBA-Stars Carmello Anthony und Dwyane Wade verbreitete bisher eine Furcht einflößende Dominanz. Bauermann sagt: „Egal wer sich uns in den Weg stellt, wir werden versuchen, sie mit allen Mitteln zu schlagen.“ Das muss man ihm glauben.