Ökotourismus

Kapital einer Region

Andrei Blumer hat einen Traum. „Rumänien könnte das Costa Rica von Europa werden“, sagt er. Der 35-jährige ist Leiter des rumänischen Verbandes für Ökotourismus (AER) und hat die nicht eben leichte Aufgabe, das Balkanland als Ökoreiseziel am internationalen Markt zu positionieren. „Eine große Herausforderung!“, sagt Blumer, ist sich dabei aber in einem sicher: „Wir bringen den Menschen das wieder, was sie bei sich zu Hause schon lange verloren haben.“

In der Tat hat Rumänien Naturfreunden einiges zu bieten. So sind 8,3 Prozent der 238.391 Quadratkilometer Landesoberfläche geschütztes Gebiet. Neben dem Biosphärenreservat Donaudelta mit über 300 Vogelarten gibt es elf Nationalparks, sechs Naturparks und weitere 855 Naturschutzgebiete, die insgesamt eine Fläche von 197.343 Hektar ausmachen. Mehr als 30 Prozent der europäischen Bär-, Wolf- und Luchspopulation lebt in den rumänischen Karpaten. Die Anzahl von Höhlen wird auf 12.000 geschätzt, davon sind bislang aber nur die Hälfte vollständig erschlossen.

Wie in anderen Ländern sieht sich auch der Ökotourismus in Rumänien bestimmten Grundsätzen verpflichtet. So steht beim Reisen der Respekt für die lokalen Kulturen, Traditionen und Lebensweisen genauso im Vordergrund wie der Erhalt und Schutz der Natur in Sinne der Nachhaltigkeit. Ein weiteres Ziel ist es, die einheimische Bevölkerung, die Gemeinden sowie das ortsansässige Gewerbe zu unterstützen. Besonders dieser Aspekt hat in einem Land wie Rumänien, das immer noch im Übergangsprozess steckt und sich zudem auf den Beitritt zur Europäischen Union vorbereitet, ein besonderes Gewicht.

Andrei Blumer führt als Beispiel für ein gelungenes Projekt einen Souvenirladen in Zarnesti an. In der Kleinstadt mit rund 27.000 Einwohnern, wo früher eine Papier- und eine Munitionsfabrik die Hauptarbeitgeber waren, liegt die Erwerbslosenquote heute bei über 50 Prozent. In dem kleinen Geschäft werden vor allem Strickwaren verkauft, die 80 Frauen aus Zarnesti und Umgebung herstellen. Die Preise für Handschuhe, Schals, Jacken, Socken und Pullover, die fast alle mit einem Bären-, Wolfs- oder Luchsmotiv versehen sind, liegen umgerechnet zwischen sieben und 45 Euro. 60 Prozent des Erlöses erhalten die Produzentinnen, 20 Prozent der Laden und 20 Prozent der Ökotourismusverband. Eines der derzeit wichtigsten Projekte des Verbandes, das die amerikanische Organisation United States Agency for International Development (USAID) unterstützt, ist die Zertifizierung von ökotouristischen Dienstleistungen. Zielgruppen sind Reisebüros und andere Reiseveranstalter, Unterkünfte sowie Ferienregionen, die, so sie vorgeschriebene Kriterien erfüllen, ein Ökozertifikat erhalten. Dabei wird peinlich genau auf die Einhaltung der Standards geachtet wie Produkte aus der Region für die Küche, Umweltschutz beim Bau und der Bewirtschaftung.

„Es geht um hohe Qualität. Das ist das Signal, das wir aussenden wollen“, sagt Blumer. Sosehr er Rumäniens EU-Beitritt begrüßt, fürchtet er doch auch um Traditionen und die angestammten natürlichen Lebensräume. „Die Schaf- und Rinderhaltung sind Pfeiler des hiesigen Berglebens. Doch das alles wird mit der Zeit verschwinden“, sagt Blumer. Die Konsequenz daraus ist für ihn klar: „Wir werden viel verlieren. Aber warum sollen wir unser Potenzial nicht nutzen, solange wir es noch haben?“BARBARA OERTEL