Die EU lobt das Ergebnis und wartet ab

BRÜSSEL taz | Im Europaparlament stieß das Ergebnis des Verfassungsreferendums auf gemischte Reaktionen. Die Grünen sehen den Reformkurs von Ministerpräsident Tayyip Erdogan bestätigt. Die CDU-Abgeordnete Renate Sommer hingegen sagte: „Während Erdogan den Wählern vorgaukelt, wichtige Menschenrechte durchzusetzen, diente das Referendum allein der Machtzementierung der AK-Partei.“ Durch die Justizreformen werde die Gewaltenteilung ausgehebelt. Die Zehnprozenthürde für Parteien schließe große Teile der Bevölkerung von Entscheidungen aus.

Die EU-Kommission wertete das Ergebnis als „Schritt in die richtige Richtung“. Doch es komme darauf an, dass die Reformen auch in die Tat umgesetzt würden, hieß es in der Stellungnahme der Kommission. „Eine ganze Reihe von Ausführungsgesetzen wird nötig sein, und wir werden deren Ausarbeitung genau beobachten.“ Die Kommission teile die Ansicht vieler Menschen in der Türkei, dass dieser Abstimmung „weitere dringend nötige Reformen“ folgen müssten. Vorrangig seien dabei die Meinungs- und die Religionsfreiheit.

Diese Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche ist typisch für das Verhältnis europäischer Politiker zur Türkei. Eine Mehrheit der Wähler will die Türkei nicht als Teil der EU sehen. Dennoch soll die Perspektive offen bleiben, um eine engere Bindung Ankaras an islamische Staaten wie den Iran zu verhindern. Die EU ist unverändert der wichtigste Handelspartner der Türkei, auch wenn seit der Wirtschaftskrise die Investitionen aus Europa abgenommen haben. Türkische Exporte in die EU hingegen sind weiter gestiegen, die Handelsbilanz ist fast ausgeglichen. Die geplante Nabucco-Gaspipeline durch türkisches Gebiet soll die europäische Energieversorgung unabhängiger von Russland machen.

Doch die Beitrittsverhandlungen treten auf der Stelle. Vor vier Jahren wurden sie mit dem Thema Forschung und Technik eröffnet. Mittlerweile wird in zwölf weiteren Politikbereichen die türkische Gesetzgebung an europäische Standards angeglichen. Doch die Verhandlungen zum Konsumentenschutz oder zum Tarifrecht können nicht abgeschlossen werden, solange der Zypern-Streit nicht aus der Welt geschafft ist. Das haben die EU-Regierungen im Dezember 2006 so beschlossen. Weitere Bereiche, darunter Finanzdienstleistungen, freier Waren- und Personenverkehr und Außenbeziehungen sind ganz blockiert.

Beim informellen Treffen der Außenminister am Wochenende, an dem auch der türkische Minister teilnahm, sorgte ein über die Presse lancierter Vorschlag der Außenminister Finnlands und Großbritanniens für Aufregung. Die Türkei solle als Mitglied mit Sonderstatus sofort am europäischen Tisch Platz nehmen dürfen. EU-Außenministerin Catherine Ashton winkte ab. Der Beitrittsprozess müsse aber „in Bewegung“ bleiben. Wie das angesichts der blockierten Verhandlungen gehen soll, verriet sie nicht. DANIELA WEINGÄRTNER