Kunst raus, Akten rein

Die Otto-Nagel-Galerie ist der einzige kommunale Kunstraum im Wedding. Jetzt soll sie zum Aktenlager werden. Die Kunst soll ins Rathaus umziehen – in einen Raum, wo derzeit Akten lagern

Im Rathaus fehlt die Infrastruktur: „Licht, Wasser, Toiletten, Büro – nichts ist da“

von Waltraud Schwab

„Der Wedding kommt anders“, behaupten einige Unverbesserliche seit Jahren. Sie gründen Theater oder Lesebühnen oder Kneipen, und siehe da: Der schlechte Ruf des Ortes bleibt zwar, aber es lebt sich besser mit ihm.

Das scheint auch das Bezirksamt zu wissen und fährt entsprechend seine Bemühungen, dem Wedding Gutes in Form von Kultur angedeihen zu lassen, zurück. Es funktioniert ja auch ohne. Derzeit droht die Otto-Nagel-Galerie an der Seestraße, die einzige kommunale Galerie im Stadtteil, unter die Räder zu kommen. Sie soll zum Aktenlager werden. Dazu befragt, sagt Kulturstadträtin Dagmar Hänisch: „Niemand will die Einrichtung schließen.“ Heute wird sie im Kulturausschuss berichten, wie es weitergeht.

Tatsächlich ist bislang vorgesehen, die Otto-Nagel-Galerie ins Rathaus am Leopoldplatz zu transferieren. In einen verglasten Raum, in dem – und das macht die ganze Angelegenheit zur Posse – derzeit auch Akten vom Sozialamt gestapelt werden. Aus Datenschutzgründen dürfen Journalisten den Raum deshalb nicht besichtigen.

Durch den Umzug der Galerie erhoffe man sich eine Belebung der zur 99-Cent-Meile heruntergekommenen ehemaligen Einkaufsstraße des Nordens, äußerten VertreterInnen aller BVV-Fraktionen bei der letzten Sitzung des Kulturausschusses. Dass eine Galerie im Rathaus nicht automatisch das Niveau der Straße hebt, darauf macht die Künstlerin Josina von der Linden aufmerksam. Sie hat mehrere hundert Unterschriften für den Verbleib am jetzigen Standort gesammelt: „Durch eine Verlagerung der Galerie kommen doch nicht mehr Leute zum Einkaufen auf die Müllerstraße.“

Die BezirkspolitikerInnen interessiert dieses Argument wenig. Im Gegenteil: Als Zugabe zum Umzug will die Politik den KünstlerInnen jetzt noch den Rathenau-Saal des Rathauses andienen. In dem hohen fast 200 Quadratmeter großen Raum, der für Sitzungen genutzt wird, könnten wunderbar die Wände bespielt werden, so die Sicht der Ausschussmitglieder. Wovon eine solche Bespielung finanziert werden soll, sagen sie nicht.

Auch in Moabit habe die kommunale Galerie Nord in einen Raum mit durchgehender Fensterfront ziehen müssen, meint Stadträtin Hänisch. Begeistert habe sie dann von ihrem Büro aus beobachtet, wie Kopftuchfrauen sich an den Fenstern die Nase platt drückten. Diesem erweiterten Kunstverständnis sei sie verpflichtet.

Zu Mauerzeiten war die Otto-Nagel-Galerie ein Ort, an dem künstlerische Highlights geboten wurden. Nach der Wende sank ihr Stern, eine Zeit lang stand sie sogar leer. Vor fünf Jahren bekam Tanja Hofmann, die bereits zu DDR-Zeiten im öffentlichen Kulturbereich tätig war, den Auftrag, sich der Einrichtung anzunehmen. Mit viel Gespür für die Nordberliner Kulturdiaspora schaffte sie es, Künstlerinnen und Künstler sowie ein Publikum für die wiedererstandene Galerie zu erschließen. Den Schwerpunkt legt sie dabei auf moderne und konzeptionelle Kunst. Vor allem für Kunstschaffende aus dem Wedding zeigte sie sich offen. Sie folgte dabei der bezirklichen Vorgabe, alle Bevölkerungsschichten anzusprechen. Bei Ausschreibungen zu Themen wie „Heimat“, „Haus“ oder „Nachbar“ forderte sie öffentlich zur Teilnahme auf. Hunderte machten mit.

KünstlerInnen, die in der Otto-Nagel-Galerie ausstellen, bekommen als einzige Unterstützung einen Zuschuss für die Einladungskarten. Den Rest müssen sie selbst finanzieren, denn mehr Geld hat das Bezirksamt dafür nicht.

Der jetzige Standort der Otto-Nagel-Galerie bietet angesichts knapper Mittel große Vorteile. Hofmann, die Leiterin, fungiert gleichzeitig als Aufsicht. Ihr Büro ist zur Galerie hin offen. Die Lichtverhältnisse sind optimal, die Türen so groß, dass selbst ein Auto in den ebenerdigen Raum fahren könnte. Sanitäranlagen sind vorhanden. Zudem ist der Fußboden gepflastert. Will man dort Akten unterbringen, muss man ihn erst glätten.

Im Rathaus wiederum fehlt die Infrastruktur. „Licht, Wasser, Büro, Toiletten, große Türen“, nichts sei da, zählt eine Freundin von Hofmann auf. Der Galeristin selbst wurde untersagt, sich öffentlich zu äußern. „Wenn die jetzige Galerie zum Aktenlager wird, heißt das trotz aller Bekundungen noch lange nicht, dass das Aktenlager im Rathaus für die Kunst freigeräumt wird“, fasst Hofmanns Freundin die Lage zusammen.