Kostenlose Umbuchung!

Kann man denn überhaupt noch in die Türkei fahren, wenn dort die Bomben explodieren? Wäre es nicht vernünftiger, sich ein anderes Reiseziel zu suchen – oder ganz zu Hause zu bleiben? Ja und nein

von ARNO FRANK

Nach den jüngsten terroristischen Anschlägen in der Türkei drängt sich mal wieder eine einfache Frage auf, die nur schwer zu beantworten ist. Die Frage stellt sich in Reisebüros, in Kantinen, bei der familiären Ferienplanung und lautet, etwa im entsprechenden Forum bei Spiegel Online, so: „Türkei: Zu gefährlich als Urlaubsland?“

Wenn sich nun die Reiseveranstalter von TUI über Thomas Cook bis Öger Tours beeilen, ihren Kunden neben wohlfeilen Beschwichtigungen auch kostenlose Umbuchungen anzubieten, dann ist das als der übliche Service zu verstehen, nicht als Antwort. Weil diese Antwort jedem Kunden selbst überlassen bleibt, verzeichnen die Veranstalter lediglich „ein großes Informationsbedürfnis“ und verweisen ansonsten gleichmütig auf die „relativ ruhige Lage“ in den Feriengebieten. Auch über jene, die es eigentlich ganz genau wissen müssten, kann die Pressesprecherin von Thomas Cook nur Beruhigendes berichten: „Es ist nicht so, dass jetzt viele Urlauber zurückfliegen möchten.“

Auch das Auswärtige Amt ist bei der Entscheidungsfindung wenig hilfreich und hat – anders als das britische Außenministerium – einstweilen auf eine Reisewarnung für die türkische Riviera verzichtet. Desgleichen gilt für die meisten Kommentare in deutschen Medien, die, auch aus Rücksicht auf ihre Anzeigenkunden aus der Touristik, als „erste Bürgerpflicht“ immer wieder neu die „Ruhe“ entdecken.

Eindeutige Aussagen klingen anders, nämlich so: „Die Türkei ist kein sicheres Land, Touristen sollten nicht in die Türkei kommen“. Na also, geht doch!

Leider ist dieser Rat weniger gut gemeint, als er sich anhört: Er stammt von der Web-Site der militanten PKK-Splittergruppe „Freiheitsfalken Kurdistans“, die für die Anschläge in Istanbul, Antalya und Marmaris verantwortlich sind – und den Staat damit an seiner schwachen Flanke treffen wollen. Wenn die deutschen Panzer der türkischen Armee schon nicht zu knacken sind, wird eben das unbewaffnete Heer der Pauschaltouristen angegriffen, das gegen wertvolle Devisen an der türkischen Riviera in der Sonne brutzelt.

Nach dieser Logik stünde, wer jetzt wegbleibt oder umbucht, im Sold der kurdischen Separatisten, weil sein massenhaftes Fortbleiben der türkischen Tourismuswirtschaft empfindlichen Schaden zufügt. Umgekehrt wäre, wer trotzdem oder „jetzt erst recht“ nach Antalya jettet, ein tapferer Soldat des laizistischen Staates in Ankara, für dessen hehre Ideale er gegebenenfalls sogar in den Tod gehen würde.

Zwei Alternativen, die freilich im Reisebüro selten erörtert werden. Warum auch? Der klassische Pauschaltourist hat gar kein Interesse daran, ein spannendes Land mit uralten gesellschaftlichen Widersprüchen kennenzulernen. Sein Interesse beschränkt sich in der Regel darauf, zwei gemütliche Wochen in einem eindimensionalen Postkartenmotiv zu verbringen, dafür bezahlt er – neuerdings auch mit seinem Leben, wenn’s ganz dumm läuft. Kann man nix machen, steckt man nicht drin.

Womit wir mittendrin wären im Dilemma unserer globalisierten Welt, wo bekanntlich alles mit allem zusammenhängt und kein Schritt ohne Folgen bleibt. Die alte Faustregel, wonach, wer sich in Gefahr begibt, in ihr umkommt, verliert allmählich ihre Gültigkeit. Die Bedrohung ist ubiquitär und nicht kostenlos umbuchbar.

Wohin auch? Nach Casablanca, wo es 33, nach Djerba, wo es 21 oder nach Scharm al-Scheich, wo es zuletzt bei Anschlägen 83 Tote gegeben hat?

Eine rhetorische Frage, auf die es trotzdem eine Antwort gibt: „Die Touristen stornieren nicht ihre Reisen“, erklärte Jean-Claude Baumgarten, Präsident des Weltreiseverbandes WTTC, „sondern ändern einfach ihre Reiseziele“, sprich: Die Fließbänder der Industrie ändern einfach ihre Richtung, nicht aber ihre Umsatzerwartungen. Selbst nach pessimistischen Berechnungen des WTTC wird der Tourismus allein 2006 weltweit fast fünfeinhalb Billionen Euro erwirtschaften – und seine Umsätze in den nächsten zehn Jahren noch verdoppeln, Terror hin oder her.

Ist denn nun die Türkei zu gefährlich als Urlaubsland? Ist vielleicht das Urlauben ganz allgemein nicht viel zu gefährlich? Und das Daheimbleiben nur geringfügig sicherer? U-Bahnen, Busse, Regionalzüge in London, Madrid und Kiel: Zu gefährlich als Verkehrsmittel? Was zum Teufel sollen solche Fragen, wem dienen sie? Die Wahrheit ist, sie dienen der kostenlosen Umbuchung unserer Ängste und damit der Verschleierung der eigentlichen Frage. Leben: Tödlich?