Neuer Widerstand am „Weißen Mittwoch“

TIBET Mit offener Rebellion oder Selbstverbrennungen zahlte der tibetische Protest gegen China bisher einen hohen Preis. Eine neue Protestform ist weniger spektakulär, aber vielleicht erfolgreicher

VON KLEMENS LUDWIG

BERLIN taz | Das Private ist politisch– dieses vertraute Bonmot ist heute in Tibet Basis einer neuen Protestbewegung, mit deren Unterdrückung sich Chinas allmächtige KP schwertut. Vor sechs Jahren hatten sich Tibeter zum Jahrestag des Volksaufstands vom 10. März 1959 gewaltsam gegen die chinesische Herrschaft erhoben. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, Hunderte wurden zum Tod oder zu langer Haft verurteilt, die Repression wurde verschärft

Aus Verzweiflung über die Ohnmacht begann 2011 eine Welle von Selbstverbrennungen. Mehr als 130 Tibeter suchten seitdem den freiwilligen Feuertod. Doch Chinas KP gibt sich ungerührt, verweigert jede Konzession und sorgt sich nur um ihr Ansehen in der Welt. Mittlerweile gibt es eine neue Form des Widerstands, weniger spektakulär, aber womöglich effektiver. „Lhakar“ nennt sich die Bewegung – „Weißer (= glücksverheißender) Mittwoch“. An einem Mittwoch wurde der Dalai Lama geboren. In stiller Übereinkunft haben die Tibeter diesen Tag zum Feiertag erhoben. Mittwochs kleiden sich Lhakar-Aktivisten festlich, gehen nur tibetisch essen, sprechen nur Tibetisch und ein Besuch im Tempel ist obligatorisch.

„Eine stille Macht verändert den tibetischen Widerstand, deren Stärke in den kleinen Dingen des Lebens liegt, die fälschlicherweise oft als banal und unwichtig angesehen werden“, erklärt die Aktivistin Dechen Pemba. Sie hat lange in Peking gelebt und subtilen zivilen Ungehorsam organisiert. Das Alltägliche, das Private zu politisieren ist die Idee und jeder kann mitmachen. Dazu bedarf es keiner konspirativen Zusammenkünfte, keiner ideologischen Schulung, keiner Planung und erst recht keiner Bereitschaft zu sterben.

„In der Vergangenheit war das politische Bild immer schwarz-weiß: Wenn du auf die Straße gehst und für die Unabhängigkeit demonstrierst, gehst du für zehn, zwanzig Jahre ins Gefängnis und wirst dort gefoltert. Entweder du entscheidest dich dafür oder hältst deinen Kopf unten. Es gab nichts dazwischen und das was frustrierend. Jetzt mit der Lhakar-Bewegung können die Leute so viele Dinge machen, für die sie nicht sofort verhaftet werden. Nach ein, zwei kleinen Schritten wird die Barriere der Furcht durchbrochen“, sagt Tenzin Dorjee, langjähriger Geschäftsführer der Exilorganisation Students for a Free Tibet.

Tatsächlich weiten sich Resonanz und Aktionsformen immer mehr aus. Viele beschränken sich nicht darauf, ihre tibetische Identität zur Schau zu stellen, sondern verweigern die Kooperation mit den Chinesen nach dem Vorbild von Mahatma Gandhis antikolonialem Kampf gegen Großbritannien. Tibeter in Nagchen, eine ihrer Hochburgen im Osten, boykottierten einen chinesischen Gemüsemarkt und ermöglichten damit Tibetern, selbst Produkte anzubieten.

Der Inhaber eines Imbisses nimmt Bestellungen nur noch auf Tibetisch an. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile sind ein vertretbarer Preis. Einen Preis von einem Yuan haben sich Mönche auferlegt für jedes chinesische Wort, das ihnen über die Lippen kommt. Lhakar ermöglicht Menschen in Tibet und im Exil, sogar zur gleichen Zeit die gleichen Protestformen durchzuführen.

Bislang hält sich Chinas KP zurück. Zum einen konzentriert sie sich darauf, die Selbstverbrennungen zu unterbinden, die zumindest anfänglich internationale Aufmerksamkeit hervorriefen. Zum anderen ist Lhakar schwer zu kriminalisieren. Allerdings wurde in Osttibet eine Frau verhaftet, weil sie Landsleute öffentlich dazu motiviert hatte.