In der Heide ist man Gefährlicheres gewohnt

ENTSORGUNG Zu Weltkriegszeiten wurden hier Chemiewaffen und Nervengifte erprobt. Nun arbeiten in Munster die Experten für deren Vernichtung

MUNSTER-BRELOH taz | Mitten im Nirgendwo tun sich zwischen Kiefern und Birken grüne Wellblechhallen auf. Tief in der niedersächsischen Heide hält sich der Bund eine eigene Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten (Geka), gleich nebenan hat die Bundeswehr einen Truppenübungsplatz, die nächsten Wohnhäuser liegen mehrere Minuten Autofahrt entfernt.

Hier, an der Ortsgrenze von Munster, soll ab Juni die Vernichtung von Chemiewaffen aus Syrien beginnen; die Geka ist die bundesweit einzige dafür zugelassene Stelle. Die Gesellschaft, die sonst fast unbemerkt in der Heide arbeitet, steht plötzlich im Fokus des weltpolitischen Interesses. Gut sechzig Presseleute sind am Mittwoch in Munster, als die Werksschranken für einen Medientag öffnen: Journalisten aus der Schweiz, aus Frankreich, Russland sind gekommen, auch der Fernsehsender Al-Dschasira ist mit einem Kamerateam vor Ort.

Dabei gibt man sich bei der Geka betont gelassen: Der Syrienauftrag sei „eigentlich ein Routinefall“, erklärt der technische Leiter, Andreas Krüger, immer und immer wieder. Denn was von den syrischen Chemiewaffen in der Heide überhaupt ankommen wird, gilt selbst nach der Klassifizierung der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) nur noch als „ätzende Flüssigkeit“. Dank einer „einmaligen, wunderbaren internationalen Kooperation, die die Welt sicherer macht“, wie Geka-Geschäftsführer Jan Gerhard es formuliert.

Insgesamt über 1.300 Tonnen ist das syrische Chemiewaffenarsenal schwer, das derzeit außer Landes geschafft wird. 500 Tonnen davon sind Industriechemikalien und werden in Sondermüllunternehmen in Finnland und den USA entsorgt. Die restlichen 850 Tonnen bestehen vorwiegend aus Nervenkampfstoffen wie Sarin und VX. In Münster kümmert man sich aber nur um die Vernichtung von S-Lost, dem hochgefährlichen und krebserregenden Senfgas beziehungsweise dem, was von den 20 Tonnen aus syrischen Beständen noch übrig ist.

Denn das Giftgas wird vorher noch auf See auf dem Frachter „Cape Ray“ der US-Marine per Hydrolyse zerlegt und zu 370 Tonnen Hydrolysat verdünnt. Die Flüssigkeit, die dann in Containern nach Munster gekarrt wird, sei nicht bedenklicher als gewöhnliche Industrieabfälle, heißt es bei der Geka.

Dort ist man durchaus anderes gewohnt. Die Gesellschaft, die 1997 aus der Kampfmittelbeseitigung des Bundeswehr hervorging, hat auf ihrem 2,6 Quadratkilometer großen Areal drei Verbrennungsanlagen, eine Bodenwaschanlage und sogenannte Delaborieranlagen, um konventionelle und chemische Munition zu zerlegen. Auf dem Gelände kann im Sprengofen Munition von bis zu 15 Kaliber vernichtet, können Bomben zerlegt und kontrolliert gezündet, kann kontaminierter Boden gereinigt werden. Auch reines Senfgas kann hier vernichtet werden.

Außen grünes Wellblech mit silber glänzenden Abluftrohren, innen ein 1.000 Grad heißer Ofen, in den 80ern dazu eigens eine Verbrennungsanlage gebaut. Das Hydrolysat mit den S-Lost-Reststoffen soll hier direkt in die „Düsstation“, wie man den Ofen bei der Geka nennt, gepumpt werden – und binnen Minuten verdampfen. Übrig bleiben ungefährliche Salze, Wasser und Rauchgas, das gereinigt durch den Schornstein abgelassen wird.

Nicht länger als vier bis fünf Monate, rechnet Technikleiter Krüger, werde man brauchen. Spätestens zum Jahresende soll der Syrienauftrag abgearbeitet sein. Zu tun hat die Gesellschaft dann noch genug: 15 bis 20 Stück chemische Munition allein aus den ersten beiden Weltkriegen werden hier im Jahresschnitt entsorgt.

Produziert worden sind die Altlasten zum Teil in der Heide selbst: Im Ersten Weltkrieg begann das deutsche Militär, hier chemische Kampfstoffe zu erproben wie eben Senfgas. Aufs Entsorgungsgeschäft kam man dagegen über Umwege: 1919 gingen in Munster Tausende Tonnen Kampfstoff in die Luft und verteilten sich weiträumig über das Gelände. Mit der Entsorgung ist die Geka noch heute beschäftigt. (Mitarbeit: G. Knödler) TERESA HAVLICEK