Von hier aus

Was der aktuelle Hype um Martin Kippenberger für Folgen hat: Künstler und Künstlerinnen, die mit einem Kölner Umfeld assoziiert werden, so wie etwa Michael Krebber oder Jutta Koether, erfahren im Moment eine hohe internationale Beachtung

Deutlichstes Symptom für das derzeitige institutionelle Interesse an „Köln“: die Ausstellung „Make Your Own Life“ im ICA Philadelphia

VON ISABELLE GRAW

Der Name „Köln“ ist mittlerweile in hohem Maß mythisch aufgeladen, steht er doch für jenes sagenumwobene Epizentrum der Kunstwelt der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, das derzeit eine enorme Faszination speziell auf den amerikanischen Kunstkontext auszuüben scheint. Hatte man mit dem Rheinland zunächst Namen wie Joseph Beuys, Sigmar Polke und in letzter Zeit vor allem Gerhard Richter und die Becher-Schule (Gursky, Ruff, Struth) verbunden, so ist jetzt eine andere Formation an der Reihe, deren Spektrum von den damaligen Künstlern der Galerie Hetzler (Albert Oehlen, Werner Büttner, Martin Kippenberger etc.) bis zu Akteuren der Galerien Nagel und Daniel Buchholz (Michael Krebber, Cosima von Bonin, Kai Althoff etc.) reicht.

Anzeichen für dieses zunehmende Interesse an „Köln“ gibt es viele: allen voran der derzeitige Hype um Martin Kippenberger, der inzwischen ein Ausmaß angenommen hat, das noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Sämtliche AkteurInnen und Fraktionen des europäischen wie anglo-amerikanischen Kulturbetriebs scheinen sich auf die Figur „Kippenberger“ geeinigt zu haben, er wird mit zahlreichen Ausstellungen (in der Tate Modern, dem K21, demnächst MOCA) geehrt und posthum wahlweise zum Geniekünstler, brillanten Selbstdarsteller oder Meta-Maler verklärt, und es ist meines Erachtens nur noch eine Frage der Zeit, bis der Picasso-Effekt einsetzen und Keramikgeschirr mit seinen Bildmotti (etwa „Krieg Böse“) zirkulieren wird. Ihn auf diese Weise isoliert herauszugreifen und als Solitär abzufeiern verkennt jedoch, wie sehr sich seine Arbeitsweise einem sozialen Kontext und externen Anregungen verdankte, die er in demselben Maße hemmungslos ausbeutete, wie er sich ihnen schonungslos auslieferte und freudig überließ. Die derzeitige Köln-Begeisterung ist zu einem gewissen Teil Folge der Glorifizierung von Kippenberger. Sein Ruhm strahlt gewissermaßen ab, so wie er umgekehrt natürlich auch von dem bereits etablierten Ruf des Rheinlands als Kunstzentrum profitierte. Nach Kippenberger hat jetzt auch das Interesse an den umliegenden Kölner Kontexten zugenommen, die ihrerseits genauer ausgeleuchtet und auf ihre Marktkompatibilität hin überprüft werden.

So haben auch andere mit einem Kölner Umfeld assoziierte KünstlerInnen wie Michael Krebber oder Jutta Koether in den letzten Monaten (zu Recht) erhöhte internationale Beachtung erfahren, und dies sowohl auf institutioneller wie auf medialer Ebene. Parallel zu zahlreichen Ausstellungswürdigungen nahm auch das kunstkritische Interesse an diesen KünstlerInnen zu, die zuvor eher nur von Insidern geschätzt worden waren. So widmete die amerikanische Kunstzeitschrift Artforum, deren Setzungen gewöhnlich seismografisch die Stimmungen des Kunstmarkts aufgreifen oder antizipieren, Michael Krebber, der bislang trotz seines großen künstlerischen Einflusses eher am Rande des Kunstmarkts angesiedelt war, im Oktober 2005 eine Coverstory, was einer kleinen Sensation gleichkam. Denn bei dieser Gelegenheit wurden seine idiosynkratischen Entzugsgesten und die für ihn typische verhaltene Produktionsweise als exemplarisches Modell eines produktiven Zögerns und gar Scheiterns angepriesen, so als wolle man es vor allem jenen jungen amerikanischen KünstlerInnen zur Nachahmung weiterempfehlen, die sich schon in der Kunstakademie professionalisieren, künstlerische Arbeit mit zielstrebigem Selbstmanagement und ausgesetztem Produzieren verwechseln und bereits während ihrer Studienzeit in Galerien ausstellen.

Entsprechend der Logik des Marktes jedoch, der beständig nach alternativen Handlungsmodellen Ausschau hält, vermochten in der Folge die ja auch mit Köln assoziierten Haltungen wie „Skepsis“, „Produktionsverzögerung“ oder „Scheitern“ zu Hoffnungsträgern in einem bestimmten New Yorker Marktsegment zu avancieren, das grob zwischen den Galerien Reena Spaulings, Green/Naftali und Friedrich Petzel anzusiedeln wäre und seine Distinktion über seine Offenheit für komplexere Ansätze bezieht. Auch das Cover der nächsten Artforum-Ausgabe war bezeichnenderweise wieder einer Künstlerin gewidmet, die heute in Berlin lebt, deren Laufbahn jedoch im Rheinland ihren Ausgangspunkt nahm – Isa Genzken. Heute wird sie – wie im Übrigen auch Koether – von der Kölner Galerie Daniel Buchholz vertreten. Eine Galerie, deren so konzeptuell anmutendes wie auf ein arbiträres Verständnis von Geschmack setzendes Programm mittlerweile über ein hohes Maß an internationaler Reputation verfügt, was sich auch daran ablesen lässt, dass ihre Betreiber kürzlich von der renommierten New Yorker Galerie Metropictures dazu aufgefordert wurden, eine Sommerausstellung mit „ihren“ KünstlerInnen zu kuratieren. Angesichts dieser Entwicklung könnte man die zugegebenermaßen überspitzte These aufstellen, dass ein Großteil der derzeit mehrheitlich gutgeheißenen KünstlerInnen diesem erweiterten Kölner Einflussbereich zuzurechnen ist.

Im Herbst letzten Jahres wurde auch ich von der Zeitschrift Artforum dazu aufgefordert, einen Text über Jutta Koether zu verfassen, der zeitgleich zur Whitney Biennale erschien, auf der sie vertreten war. Ich erwähne dies an dieser Stelle auch deshalb, um jeden Zweifel an meiner eigenen Verstricktheit in den Köln-Mythos von vornherein auszuräumen – schließlich habe ich an dieser Geschichte aktiv mitgeschrieben (etwa durch die Herausgabe einer ja 1990 in Köln gegründeten Kunstzeitschrift und der damit verbundenen Unterstützung zahlreicher der derzeit vom amerikanischem Markt geschätzten KünstlerInnen).

Gerade in letzter Zeit wurde ich jedoch auffällig oft darum gebeten, die Rolle der „Augenzeugin“ zu spielen und von den damaligen Verhältnissen zu berichten. Unwillkürlich sieht man sich bei diesen Gelegenheiten in die Position der Veteranin gedrängt, die nun wehmütig (oder erleichtert – je nachdem) auf eine scheinbar abgeschlossene und eigentümlich „tote“ Vergangenheit zurückblickt. In Wahrheit ist diese Geschichte natürlich weder abgeschlossen noch feststehend. Symptomatisch ist vielmehr, dass sie just zu dem Zeitpunkt idealisiert und zur Projektionsfläche erhoben wird, da sich der vormals nach dem Modell „Einzelhandel“ organisierte Kunstbetrieb in eine Eventkultur mit kulturindustriellen Zügen verwandelt hat, in welcher der ökonomische Imperativ regiert. Die gängige Vorstellung, dass das künstlerische Feld ein relativ autonomer gesellschaftlicher Teilbereich sei, lässt sich angesichts des Vordringens kulturindustrieller Prinzipien wie „Celebrity“-Logik oder „Corporate Culture“ nicht länger aufrechterhalten. Köln fungiert unter diesem Umständen als Metapher für eine Art Restautonomie, die den damaligen Kunstszenen zugeschrieben wird und über die sie ja auch tatsächlich in gewisser Hinsicht verfügten – insofern nämlich, als sie selbstorganisiert und institutionell relativ unabhängig waren. Aus diesem Grund konnte „Köln“ in letzter Zeit zu einem Hoffnungsträger avancieren, der aber auch von den tatsächlichen strukturellen Veränderungen abzulenken und Trost zu spenden vermag.

Als deutlichstes Symptom für das derzeitige institutionelle Begehren nach „Köln“ wäre die von Bennett Simpson kuratierte Ausstellung „Make Your Own Life“ im ICA Philadelphia über „KünstlerInnen innerhalb und außerhalb von Köln“ zu nennen, in der die Protagonisten unterschiedlichster Fraktionen der ehemaligen „Kölner Szene“ zusammengeführt wurden: die Fraktion der „konzeptuellen Malerei“, der Martin Kippenberger und Albert Oehlen, aber auch Jutta Koether, Charline von Heyl und viele andere zuzurechnen wären, dann die Fraktion um Michael Krebber, Cosima Bonin und Kai Althoff, die sich mit Ersterer in vielerlei Hinsicht überschneidet, in der sich jedoch institutionskritische Gesten ebenso wie arbiträre Geschmacksurteile und ein Hang zur Hermetik finden, dann Merlin Carpenter, der eine Zeit lang in Köln lebte, dessen Arbeit mit diesen Gruppierungen kommuniziert, sie aber stets kritisiert, sowie Rosemarie Trockel, der die Rolle der Ausnahmekünstlerin zugeschrieben wurde und die ihrerseits künstlerische und personelle Schnittmengen mit Georg Herold oder Jutta Koether bildet, schließlich Andrea Fraser und Christian Philipp Müller, die gemeinsam mit den leider in dieser Ausstellung fehlenden KünstlerInnen Renée Green und Fareed Armaly für die größere Offenheit für Theorie und Kritik maßgeblich verantwortlich waren. Die Autorität, die institutionskritische und identitätspolitische Ansätze im eigentlich theoriefeindlichen Köln der frühen Neunzigerjahre genießen konnten, verdankte sich auch ihren Bemühungen. Schließlich Nils Norman, Josef Strau und Stephan Dillemuth, die wie auch Carpenter den „Raum Friesenwall“ maßgeblich prägten, obwohl sie natürlich eigene Künstlerkarrieren verfolgten, sowie Christopher Williams, Josephine Pryde und Stephen Prina, die Köln regelmäßig besuchten und in unterschiedlichen Konstellationen anzutreffen sind.

Wenn sich Simpson in seinem subtilen Katalogtext auch um Differenzierung bemüht, so bringt es die topografische Perspektive dieser Ausstellung doch mit sich, dass die Heterogenität dieser Formation tendenziell verloren geht. Waren es doch antagonistische Kunstauffassungen, die im Köln der frühen Neunzigerjahre jäh aufeinanderprallten, sich gegenseitig in Schach hielten und sogar aktiv bekämpften. Die Fronten konnten zwischen kontextreflexiven und immanenten Ansätzen, referenzgesättigten und eher willkürlich anmutenden Verfahren, Theoriebegeisterung und Theoriephobie, feministischem Bewusstsein und ungehemmt ausgelebter Frauenfeindlichkeit verlaufen, ließen sich aber niemals ein für alle Mal ziehen, da sie beständig neu gezogen und aufgeweicht wurden. Simpson verkompliziert diese ohnehin komplexe Lage noch dadurch, dass er eine Ausdehnung auf jüngere US-amerikanische KünstlerInnen wie Gareth James (mit Roe Ethridge) oder Blake Ryne vornimmt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die mit Köln assoziierten Gruppierungen und Praktiken in der Praxis dieser KünstlerInnen fortgeschrieben würden. Ein Eindruck, der in zweifacher Hinsicht trügt: Zunächst einmal verdanken sich die Verfahren von James und Rayne eher den formalen Errungenschaften von Minimal Art, Abstract Painting oder der „Appropriation Art“. Zudem könnte sich die aktuelle kulturpolitische Situation in New York von den damaligen Kölner Verhältnissen nicht deutlicher unterscheiden. Wo es in Köln für einen gewissen Zeitraum tatsächlich möglich war, relativ unbehelligt von den Agenten des Marktes und ohne Kontakt zu den üblicherweise für solche Zusammenschlüsse zentralen Institutionen wie Museen oder Kunstakademien Wissen zu produzieren und Informationen auszutauschen, erweisen sich zahlreiche der selbstorganisierten Projekte in New York bei genauerer Betrachtung als von Beratern und Galeristen finanziert. Es sieht so aus, als habe der Kunstmarkt begriffen, dass kritische Reflexion oder exklusive Informationen von großem Wert sind. Durch diese Durchdringung von Markt und „alternativen“ Projekten konnte sich eine Art korporatives und personelles Kontinuum zwischen den vermeintlich alternativen Initiativen der Lower East Side und den kommerziellen Galerien Chelseas etablieren.

Aber hat man im Köln der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre tatsächlich „selbstbestimmter“ gelebt und gearbeitet, wie der Ausstellungstitel „Make Your Own Life“ nahelegt? Wenn es Selbstbestimmung gab, dann in einem institutionellen Sinne. Es macht die Besonderheit der damaligen Situation aus, dass sich die diversen Kölner Kunstszenen weitgehend unabhängig von den etablierten Institutionen formierten. Man gründete Zeitschriften, Ausstellungsräume und soziale Zusammenhänge, die ihre je eigenen und spezifischen Wertesysteme generierten. Von „Selbstbestimmung“ im Sinne eines vom sozialen Druck befreiten Lebens und Arbeitens konnte jedoch keine Rede sein. Ganz im Gegenteil zeichneten sich die mit Köln assoziierten Szenen in dieser Hinsicht durch ein hohes Maß an Fremdbestimmtheit aus. Ich selbst habe das Köln der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre immer mit einem Überwachungsstaat verglichen, wo noch die persönlichsten Entscheidungen und intimsten Vorkommnisse in der Kneipe von allen verhandelt, bewertet und unter Umständen mit Sanktionen geahndet wurden. Es gab Situationen, die an ein disziplinargesellschaftliches Modell des „Überwachens und Strafens“ erinnerten, sowie Tendenzen zu eher kontrollgesellschaftlichen Zurichtungen, wenn beispielsweise soziale Zumutungen von Einzelnen freiwillig, wenn nicht sogar lustvoll verinnerlicht wurden.

Entscheidend war vor allem, wie man lebte, auftrat und sich gab – davon hing ab, ob auch die Arbeit als überzeugend erachtet wurde. Aus dieser Bedeutung des Performativen jedoch wie Simpson abzuleiten, dass Köln Nein zu den Produktionsnormen des Kunstmarktes gesagt habe, halte ich für überzogen. Wird der Akzent auf Inszenierung und Lebensführung gelegt, dann kann dies ebenso wenig Garant für „Widerstand“ sein, wie „Leben“ keine per se widerständige Kategorie ist. Schließlich haben die vielfältigen Untersuchungen zur Entstehung und Funktionsweise von Biopolitik – von Foucault über Antonio Negri/Michael Hardt zu Giorgio Agamben und Paolo Virno – argumentiert, dass das Leben in den Bereich des politischen Kalküls eingetreten und einem ökonomischem Imperativ der Wertsteigerung unterworfen ist. Wenn also bildende KünstlerInnen von Beuys über Kippenberger bis hin zu Andrea Fraser qua Selbstinszenierung ihr Leben (künstlerisch) zur Disposition stellten, dann beliefern sie auf diese Weise auch einen Markt, der es nicht mehr auf das bloße Arbeitsprodukt, sondern auf die ganze Person des Künstlers inklusive seiner kommunikativen und emotionalen Kompetenzen abgesehen hat.

Somit wäre das in den Achtzigerjahren in Köln verbreitete Insistieren auf „Haltung“ – an der sich eine ganze Lebenseinstellung ablesen lassen sollte – als Symptom dessen zu begreifen, was heute allgemein unter einer biopolitischen Wende verhandelt wird. In ihrem Zuge sind es ja weder die aufgewendete Arbeitszeit noch die unmittelbar verrichtete Arbeit, sondern unsere gesamte Persönlichkeit, sämtliche Aspekte unserer Lebensführung, die einem Prozess der ökonomischen Optimierung unterworfen werden. Daraus folgt, dass es besonders die vielbeschworenen selbstdarstellerischen Qualitäten eines Kippenberger oder die Köln-typische Kultivierung von persönlichen Idiosynkrasien, Fehlern, Scheitern oder Entzug sind, die heute wie damals gleichsam zur Arbeit gehen.

Dieser Artikel ist der Auszug eines Textes, der in der September-Ausgabe der Zeitschrift Texte zur Kunst (Thema: Flucht oder Ungehorsam?“) erscheint.