die taz vor 10 jahren über die empörung über kinderschänder
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Von 400.000 Männern, die jährlich nicht als Urlauber, sondern als Sextouristen ins Ausland reisen, bedienen sich 10.000 nach „Erkenntnissen von Experten“ bei Minderjährigen. Genauer gesagt: „etwa“ 10.000 der „bis zu“ 400.000 Deutschen (Berliner Zeitung vom 21. 8.). Daraus scheint zu folgen, daß 10.000 Minderjährige auf deutsch mißbraucht werden (Berliner Zeitung vom 26. 8.); nach Schätzungen von „Hilfswerken“ waren es 1995 aber 100.000. Die Entscheidung zwischen beiden Zahlen sollte jedem Vernünftigen leicht fallen. Höhere Zahlen sprechen von höherer Betroffenheit und Moral. Unser neuer Kinderschutzexperte Außenminister Kinkel fordert daher: „Kinderschänder müssen geächtet werden.“ Ächtung ist ein altdeutscher Rechtsvorgang und meint Ausstoßen aus der Gemeinschaft der Menschen. Ein Geächteter ist vogelfrei und konnte früher straflos von jedem ums Leben gebracht werden. Ich persönlich freue mich über die sich abzeichnende Etablierung des Begriffs „Kinderschänder“. Mit Fremdwörtern wie Päderastie und Pädophilie, mit der Untersuchung von Einzelfällen (Bartsch oder Dutroux) verlieren wir doch bloß kostbare Zeit. Man möge mich bitte nicht als Nazi klassifizieren, aber wir müssen doch heute zugeben, daß neben der Autobahn der Kinderschänder eine wirkliche Errungenschaft jener sonst zu Recht verurteilten Zeit darstellt. Natürlich weiß ich so gut wie jeder, daß es falsch ist, gegen Kinderschänder mit Todesstrafe, Kastration und KZ vorzugehen. Heute setzen wir auf international vernetzte Verfolgung im Zeichen der Ächtung, Verschärfung der Strafgesetze und Ausbau der Gefängnisse, in welche die 10.000 bis 100.000 Kinderschänder (Sextouristen) künftig eingewiesen werden. Dort wird dann Therapie angeboten. Halali! Die Jagdsaison ist eröffnet.

Katharina Rutschky in der taz vom 30. 8. 1996