„Es geht hier nicht um al-Qaida“

Als Terroristenjäger wurden sie angekündigt – doch davon ist keine Rede mehr: In Leipzig sollen zwar Arbeitslose künftig in Bussen und Bahnen nach dem Rechten sehen. Aber ihr Aufgabenprofil ähnelt bestenfalls dem des guten alten Schaffners

AUS LEIPZIG MICHAEL BARTSCH

Die Leipziger müssen sich in ihren Bussen und Bahnen bald an neue Begleiter gewöhnen: Auf Initiative von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) startet im November ein umstrittenes Modellprojekt, das die Agentur für Arbeit und die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) am Donnerstag vorstellten. Doch was einige – nach Tiefensees erster Ankündigung – bereits als Einsatz von Hartz-IV-Empfängern als Terroristenjäger gegeißelt hatten, erinnert bei konkreter Betrachtung eher an die Neuentdeckung des guten alten Schaffners.

Rund 300 Langzeitarbeitslose sollen ab Mitte November in öffentlichen Verkehrsmitteln eingesetzt werden, kündigte LVB-Geschäftsführer Wilfried Hanss an. Die Hälfte von ihnen werde Straßenbahnen und Busse „begleiten“. Andere könnten als Verkehrserzieher und Berater in Kindergärten, Schulen und Seniorenheimen tätig werden, Rollstuhlfahrern helfen oder Streetwork leisten.

Was die ominösen Bahnbegleiter über den helfenden Griff zum Kinderwagen oder die nette Fahrplaninformation hinaus wirklich sollen und dürfen, wurde allerdings nicht so recht deutlich. Denn Tickets verkaufen wie weiland der Schaffner dürfen sie nicht, Schwarzfahren ist auch in ihrer Anwesenheit möglich, solange kein befugter zusätzlicher Kontrolleur auftritt. Denn die Fahrscheinkontrolle bleibt eine originäre Aufgabe der LVB – und diese Arbeitsplätze darf der arbeitssuchende ÖPNV-Hilfsofficer nach EU-Recht nicht gefährden.

Vor allem dürfen die Begleiter „auch im Gefahrenfall nicht eingreifen“, so Hanss. Weder bei zurückgelassenen verdächtigen Koffern noch bei eingeschlagenen Fensterscheiben. Für diese Fälle bekämen sie aber ein Diensthandy.

„Wir wollen keinen falschen Mut. Es geht nicht um al-Qaida, sondern um das Sicherheitsempfinden der Fahrgäste“, sagte Hanss und ergänzte: „Wo dienstkleidungsgeschmückte Leute dabei sind, sinkt das Vandalismusbedürfnis drastisch.“ Eine neue Uniform für die 300 künftigen Helfer wird gerade kreiert. Ab 1. September darf sich jeder Langzeitarbeitslose bewerben. Auch Frauen sind willkommen, im Idealfall sollten möglichst Männer und Frauen gemeinsam auf Streife gehen. Andreas Zehr, Leiter der Leipziger Arbeitsgemeinschaft von Stadt und Arbeitsagentur (ARGE), berichtete von ersten Gesprächen mit Tiefensee bereits im Mai, also vor der Kofferbombenhysterie.

Die 300 ALG-II-Empfänger erhalten für 30 Wochenstunden wie Ein-Euro-Jobber zusätzlich bis zu 150 Euro im Monat und sollen bei den LVB für ihre Aufgabe und darüber hinaus qualifiziert werden. Die ARGE kostet das in der Anlaufphase 2006 nicht mehr als 15.000 Euro. Die Verkehrsbetriebe wollen ihrerseits die jährlich bis zu 100 frei werdenden Stellen mit Kräften aus diesem Modellprojekt besetzen und so eine Perspektive im ersten Arbeitsmarkt bieten.

Die Meinung von Arbeitslosen und Leipziger Bürgern dazu ist nach Spontanumfragen so geteilt wie die der Politiker. Manche würden jeden Job annehmen, andere fühlen sich für diese heikel erscheinende Aufgabe nicht qualifiziert – obwohl von den angeblichen „schwarzen Sheriffs“ nicht mehr als Wächter über den Straßenbahn-Knigge geblieben sind. Auch in Sachsen hatten CDU und FDP Tiefensees „Ideen aus der Mottenkiste“ heftig kritisiert. Die Zeitung Thüringer Allgemeine berichtet indessen, im Kyffhäuserkreis seien Ein-Euro-Jobber bereits seit Februar als Begleiter von Schulbussen tätig. In Bochum und Gelsenkirchen hat der Nahverkehrsbetrieb Bogestra 120 „Kundenbetreuer“ regulär angestellt.