Eine höchst merkwürdige Allianz

POLITISCHE JUSTIZ In den nächsten Tagen wird vor der Strafkammer des Obersten Gerichtshofes Spaniens die mündliche Hauptverhandlung gegen den bekannten spanischen Richter Baltasar Garzón beginnen. Die beiden Anwälte Gonzalo Boye (Madrid) und Wolfgang Kaleck (Berlin) zu dem skandalösen Hintergrund dieses Verfahrens

Das Verfahren gegen Garzón hat nur wenig Ähnlichkeit mit einem fairen Prozess

VON GONZALO BOYE
UND WOLFGANG KALECK

Wenn der weltweit bekannteste aller spanischen Richter, Baltasar Garzón, sich nunmehr selbst auf der Anklagebank wiederfindet und am Ende der Verhandlung mutmaßlich wegen des Deliktes der Rechtsbeugung verurteilt wird und damit seine Richterlaufbahn beenden muss, seit Frühjahr 2010 ist er bereits vorläufig vom Richteramt suspendiert, gibt es dafür keine einfache Erklärung. Keine Erklärung jedenfalls, die rational mit der Logik des demokratischen Rechtsstaates vereinbar wäre. Die Gründe sind eher in der Person Garzóns und seinem Wirken zu suchen, dem Hass und dem Neid, den er durch seine Richtertätigkeit über die Jahre provoziert hat. Und in der jüngeren Geschichte Spaniens, einem Land, das es bis heute nicht vermocht hat, sich angemessen mit seiner historischen Verantwortung auseinanderzusetzen.

Das, was Garzón gerade widerfährt, ähnelt der von Gabriel García Márquez beschriebenen „Chronik eines angekündigten Todes“. Der Ermittlungsrichter hat – wie jeder Mensch – Stärken und Schwächen, in der Gesamtschau ist er jedoch weltweit als einer der effektivsten Kämpfer für Menschenrechte der letzten Dekaden anzusehen. Der sich ankündigende Tod seiner Richterkarriere ist das aktive Werk vieler, aber auch der Passivität anderer geschuldet.

Kampf gegen Drogen- kartelle und die ETA

Als Ermittlungsrichter trat er im Juni 1990 mit den ersten größeren Operationen gegen den Drogenhandel in Spanien an die Öffentlichkeit. Er bekämpfte die Drogenkartelle auf einer globalen Ebene, ließ verdächtige Boote auf hoher See aufbringen und ließ nicht nur Drogenhändler, sondern auch deren Steuerberater, Anwälte und Bankberater verhaften. Diese Makroprozesse gegen den Drogenhandel verschafften ihm ein öffentliches Ansehen und mediale Aufmerksamkeit, das für die spanische Justiz ungewöhnlich war und das ihm viel Missgunst einbrachte. Man muss nicht lange suchen, um auf einen der Hauptverfolger von Garzón zu stoßen: den Richter Luciano Varela. Von ihm ist öffentlich bekannt, dass ihm Garzón zuwider ist, auch weil der bei der Verhaftung von Drogenhändlern ausgerechnet in dem Einzugsbereich zum Hauptprotagonisten wurde, in dem Varela selbst als Richter tätig war, in Galicien, im Norden Spaniens.

Zugleich mit der Strafverfolgung der organisierten Kriminalität befasste sich Garzón mit den Terrorismusverfahren gegen die ETA und ihrem politisch-ökonomischen Umfeld. In Spanien wurde dies als Strafverfolgung des entorno abertxale, als Verfolgung der Vorfeldorganisationen bezeichnet. So gelang es Garzón, die ETA hartnäckig zu bekämpfen. Seine Entscheidungen waren rechtlich und politisch hoch umstritten. Seine Feinde warfen ihm auch gerne seine Medienpräsenz vor. Der Neid nahm proportional zu seinen beruflichen Erfolgen zu.

Parallel dazu ermittelt Garzón in einer Serie von Verfahren mit hoher internationaler Aufmerksamkeit: Das in vielen Staaten geltende Prinzip der universellen Jurisdiktion, wonach Verstöße gegen das Völkerrecht unabhängig vom Tatort und der Nationalität von Tätern und Opfern verfolgt werden können, wurde in Spanien erstmals und seit Mitte der 90er Jahre massiv angewandt. Garzón betrieb Strafverfahren gegen zahlreiche Diktatoren. Sein größter Verdienst war wohl die Verhaftung des chilenischen Exdiktators Pinochet im November 1998 in London. Das Wirken Garzóns war ganz entscheidend für die vielen aktuellen Strafprozesse, die heute gegen folternde Militärs in mehreren lateinamerikanischen Ländern vor dortigen Gerichten stattfinden. Aber natürlich zog er durch derartige Verfahren, so legitim, rechtsstaatsgemäß und moralisch richtig sie sein mögen, weiteren Hass auf sich, vor allem von rechten Kreisen der spanischen Gesellschaft.

Garzón und die PSOE

Weil ihm die Herausforderungen oft wichtiger sind als die Konsequenzen, die seine Handlungen haben könnten, akzeptiert Garzón vor den Wahlen 1993 ein Angebot des damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzáles, auf dem zweiten Listenplatz hinter Gonzáles für das Parlament zu kandidieren. Viele kritisierten das. Heute sieht Garzón diese Episode als eine an, die zu den Fehlern seines Lebens gehören. Sein politisches Abenteuer war von kurzer Dauer. Einige meinen, die Nichtnominierung als Innenminister sei daran schuld. Andere glauben, die Politik habe ihn desillusioniert oder er habe diesen Weg nur gewählt, um zu noch größerer Berühmtheit zu gelangen.

Realität bleibt, dass er Abgeordneter war, der Regierung angehörte, aber nach kurzer Zeit wieder auf seinen Richterposten zurückkehrte. Dort führte er aufwendige Ermittlungen gegen den ehemaligen sozialistischen Innenminister, den Staatssekretär und diverse Polizeibeamte wegen verschiedener Straftaten, die diese bei der Bekämpfung der ETA begangen hatten. Dieses sogenannte GAL-Verfahren versetzte der politischen Glaubwürdigkeit von Felipe Gonzáles einen erheblichen Schlag und wurde einer der wesentlichen Gründe für dessen Wahlniederlage im März 1996. In jenen Zeiten wurde Garzón zur Perona non grata in Kreisen der PSOE. Gleichzeitig wurde er von Medien wie der rechtslastigen Tageszeitung El Mundo hoch gelobt, die ihn heute am stärksten attackiert.

Der Richter setzt seine Ermittlungen gegen Drogenhändler, mutmaßliche ETA-Angehörige und andere hochkarätige Delinquenten fort, während er die rechtskonservative Aznar-Regierung wegen der Beteiligung am Irakkrieg stark kritisiert – er bezeichnete den Angriff als rechtswidrig. Nach einem Sabbatjahr an der New York University beginnt er im Februar 2009 Nachforschungen in einem großen Korruptionsfall, dem „Caso Gürtel“. Daraus resultieren Verhaftung und Anklageerhebung gegen eine Reihe von Parteifunktionären des Partido Popular (PP). Beschuldigte waren einige hochrangige Politiker der rechten Partei, unter anderen ihr Schatzmeister Luis Barcenas. Es ging um nichts Geringeres als die illegale Parteienfinanzierung der PP.

Und als ob er sich mit alledem nicht schon genügend Feinde gemacht hätte, beginnt er – und das wird vielleicht seine größte Fehleinschätzung und zwar unter dem Gesichtspunkt der Folgen, die dies für ihn selbst haben wird – mit Ermittlungen wegen der Verbrechen während der Franco-Diktatur. Denn noch immer gelten 130.000 Menschen als Verschwundene, deren Kadaver in ganz Spanien verstreut wurden.

Gewaltige Spur von Feinden

All diese Erfolge und Verdienste als Richter und die Irrtümer, die er beging, ziehen eine gewaltige Spur von Feinden nach sich, einer mächtiger als der andere. Mit seinem allerletzten Prozess stößt Garzón jedoch etwas an, was bis dahin in Spanien als unberührbar galt: die jüngste Geschichte und die Verbrechen des Franquismus.

Ab diesem Moment widerfährt ihm das gleiche Schicksal wie Santiago Nasar in der Geschichte von Garcia Márquez, alle wussten, dass man ihn umbringen würde, juristisch gesprochen. Aber niemand sagte es ihm, weil alle dachten, es wäre unmöglich, dass er es selber nicht merkt.

Aber er realisiert es nicht, oder wenn er es wusste, zieht er den Tod der Zurückhaltung vor. Eine der merkwürdigsten Allianzen steht bereit, ihm ein Ende zu bereiten: Politiker aller Couleur, Journalisten und Medien unter der Führung von El Mundo, Richter des Obersten Gerichtshofes, Anwälte und Franquisten einigen sich auf dasselbe Ziel: Garzón, koste es was es wolle.

Als Vehikel für die Verfolgung dient sein Vorgehen in dem Franco-Verfahren: die Organisation „Manos Limpias“, Erbin der franquistischen Tradition und der Falange, also der Partei des Diktators Francos, erstattet Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen ihn.

Er habe wissentlich rechtswidrig gehandelt, als er entgegen dem 1977 ausgehandelten Amnestiegesetz, also der aktuell gültigen spanischen Verfassung vom Dezember 1978, die Ermittlungen aufnahm. Da es sich bei Garzón um einen amtierenden Richter handelt, müsste gegen ihn ein Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof geführt werden. Und zur Überraschung vieler lässt das Tribunal die Strafanzeige tatsächlich zu und beginnt Ermittlungen, geführt von einem alten Bekannten, Richter Luciano Varela, der sich selbst als progressiv bezeichnet.

Der Neid nahm proportional zu seinen beruflichen Erfolgen zu

Der Beschluss gegen Garzón wird abgefasst von Richter Adolfo Prego, bekannt als Franquist, Ehrenvorsitzender des Vereins vom Valle de los Caídos, in dem das monumentale Denkmal für die Franco-Diktatur bis heute steht. Er ist der Bruder eines der meinungsführenden Journalisten von El Mundo. Ein vermeintlicher Linker verbündet sich also mit einem Ultrarechten, um den gemeinsamen Feind Garzón zur Strecke zu bringen.

Das Strafverfahren gegen Garzón hat nur wenig Ähnlichkeit mit einem Prozess, in dem die prozessualen Garantien eingehalten werden. Bis jetzt wurde praktisch jeder Beweisantrag abgelehnt, den er zu seiner Entlastung gestellt hat, und auf der anderen Seite wurden Beweismittel der Anklage zugelassen, die nicht erheblich sind, sondern nur der Illustration des allgemeinen Panoramas dienen sollen.

Alle von seiner Verteidigung eingelegten Rechtsmittel gegen Zwischenentscheidungen wurden abgelehnt, und das mit einer Geschwindigkeit, die im spanischen Strafprozess absolut unüblich ist. Ohne jeden Zweifel wurde der Fall besonders behandelt und die Resultate der Ermittlung sind entsprechend voreingenommen.

Großdemos für Garzón

Erst als offensichtlich wurde, dass es sich bei dem Prozess gegen Garzón um ein einzigartiges politisches Strafverfahren handelt, begannen soziale Bewegungen und politische Gruppen zu mobilisieren. Im Frühjahr 2010 kam es zu Massendemonstrationen in spanischen Großstädten. Der Topos von den zwei Spanien wurde wieder lebendig, dem gespaltenen Land, das sich teilt in die Anhänger und Gegner Garzóns.

Das Bild Spaniens im Ausland hat durch die Affäre Garzón enorm gelitten, die Justiz hat eine erhebliche Rufschädigung erfahren. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, ob die Transición (der Übergang zur Demokratie in Spanien) möglicherweise zu früh für beendet erklärt wurde. Und ob nicht zu einem Abschluss das historische Kapitel der Diktaturverbrechen gehört, also das damalige Geschehen aufgeklärt, die Toten ausgegraben und beerdigt, die Opfer entschädigt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

Für die spanische Demokratie käme es jetzt darauf an, sich der jüngsten Vergangenheit zu stellen, so schmerzhaft dies sein mag. Das Rechtswesen, Voraussetzung für einen demokratischen Rechtsstaat, muss neu strukturiert werden. Das diabolische an diesen Vorgängen ist, dass sie nun, 35 Jahre nach dem Tod des Diktators, ein weiteres Opfer schaffen: den Richter, der diese Verbrechen aus der ebenso langen wie dunklen Periode der spanischen Geschichte aufklären wollte.

Gonzalo Boye lebt und arbeitet als Anwalt in Madrid

Wolfgang Kaleck ist Vorsitzender des European Center for Constitutional and Human Rights in Berlin. Im Oktober erscheint im Wagenbach Verlag sein Buch: „Kampf gegen die Straflosigkeit. Argentiniens Militärs vor Gericht“