„Es gibt keine ungefährliche Streumunition“

Die UN behauptet, dass Israel in den letzten drei Tagen des Libanonkriegs gezielt massenhaft Streumunition eingesetzt hat. Ein Zeichen für militärische Ratlosigkeit – und eine barbarische Waffe, so Thomas Küchenmeister

taz: Die Israelis haben vor allem in den letzten Kriegstagen Streubomben in Südlibanon verschossen. Welchen militärischen Sinn hat der Einsatz solcher Waffen?

Thomas Küchenmeister: Ein amerikanischer Offizier hat mal gesagt: Wenn du nicht weißt, wo der Feind steht, dann wirf ihm erst mal ein paar Streubomben auf den Kopf. Es handelt sich um ein unakkurates und unzuverlässiges Waffensystem, das eingesetzt wird, wenn man nicht mehr weiterweiß. Die Israelis wollten auf diese Weise vermutlich Raketenstellungen der Hisbollah zerstören. An so einer mobilen Stellung sind mehrere Kämpfer anwesend, die die Rakete transportieren und abfeuern.

Kann man mit Streumunition militärische Ziele treffen und zivile Orte schonen?

Meines Erachtens nicht – es sei denn, man hat eine abgelegene militärische Stellung, zum Beispiel mitten in einer Wüste. Aber immer, wo bisher Streumunition eingesetzt wurde, war Zivilbevölkerung betroffen.

Wie genau kann man mit Streumunition zielen?

Die Art der Streumunition lässt darauf schließen, dass Israel sie zum einen mit Raketen verschossen hat. Solche Raketen öffnen sich 600 bis 800 Meter über dem Zielgebiet und verstreuen die Bomblett-Munition über einer Fläche von bis zu einem halben Quadratkilometer. Ein gezielter Beschuss ist mit so was natürlich nicht möglich. Auch die zweite Methode, nämlich die Streumunition mit Panzerhaubitzen zu verschießen, ist ebenso unpräzise. Und damit steht solch ein Waffeneinsatz im Widerspruch zu Artikel 51 der Genfer Konvention, wonach unterschiedslose Angriffe verboten sind.

Ist das Ausmaß, wie stark die libanesische Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wurde, schon bekannt?

Genau weiß man das noch nicht, aber alles deutet darauf hin, dass sehr viele zivile Ziele getroffen wurden. Die UNO sagt, dass 90 Prozent der Streubomben in den letzten drei Tagen vor Waffenstillstand eingesetzt wurden. Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe Jan Egeland hat das als vollständig unmoralisch kritisiert. Ob von Israel eine Absicht dahinter steckte, kann ich nicht sagen. Israel hat das ja vehement von sich gewiesen. Aber de facto ist es so, dass inzwischen über 400 Gebiete lokalisiert wurden, in denen Streumunition eingesetzt wurde. Wie viele Menschen durch direkten Beschuss wie zum Beispiel am 24. Juli in dem Dorf Blida getötet wurden, muss erst noch untersucht werden. Schon jetzt sind 60 Menschen durch Blindgänger getötet worden.

Wie groß ist jetzt noch die Gefahr für die Menschen im Südlibanon?

Die UNO geht von einer Blindgängerquote von 10 Prozent aus und vermutet, dass noch rund 100.000 scharfe Bombletts im Südlibanon rumliegen.Wahrscheinlich ist die Blindgängerquote aber noch erheblich höher. Ich komm gerade zurück von der UNO-Konferenz zur Waffenkonvention. Da wurden sogar Vermutungen angestellt, dass 50 Prozent der Munitionen nicht explodiert sind.

Kann man diese Munitionen nicht einsammeln und entschärfen?

Etwa 3.000 dieser Sprengkörper wurden schon gefunden und entschärft, aber die Bedrohung für die Zivilbevölkerung ist damit natürlich nicht beseitigt. Die Bombletts sind zum Teil nicht so leicht zu finden – sie sind etwa so groß wie eine Taschenlampenbatterie. Wer damit in Kontakt kommt, kann schnell zum Opfer der Munition werden, weil sie auf Berührung reagiert. Und dabei verletzt man sich in der Regel nicht, sondern kommt zu Tode.

Wie sieht es in den Arsenalen der Bundeswehr in puncto Streumunition aus?

Auch die Bundeswehr besitzt in erheblichem Umfang Streumunition – und zwar genau solche, wie sie jetzt von Israel im Libanon eingesetzt wurde. Das heißt: Wenn im Rahmen robuster Auslandseinsätze die Bundeswehr diese Munition einmal einsetzen würde, hätten wir mit den gleichen schlimmen Konsequenzen zu rechnen, wie sie jetzt im Südlibanon zutage treten. In Genf hat Deutschland jetzt erklärt, keine neue Streumunition beschaffen zu wollen. Wir werden das sehr genau beobachten, weil wir das nicht glauben. Für den Kampfhubschrauber Tiger werden beziehungsweise wurden gerade Streumunitionsraketen beschafft.

Wofür will die Bundeswehr so was haben?

Sie sagen, dass es im Rahmen von Bündnisverpflichtungen notwendig ist, Streumunition bereit zu halten. Und man will sich dieses Instrument für robuste Auslandseinsätze nicht nehmen lassen. Man versucht aber, die Zuverlässigkeit der Munition zu erhöhen und die Blindgängerquote zu senken. Die Unterscheidung in gefährliche und ungefährliche Streumunition ist aber falsch, wie der Libanon gerade gezeigt hat.

INTERVIEW: ANNETTE JENSEN