Mit Hilfe aus der Formel 1

PARALYMPICS Andrea Eskau ist lesbisch, wollte trotz Anti-Homo-Gesetz nach Sotschi – und holte nun Gold

SOTSCHI taz | Als vor einer Woche die Forderungen nach einem Boykott immer lauter an das deutsche Paralympics-Team herangetragen wurden, da äußerte sich Andrea Eskau differenzierter als viele ihrer KollegInnen. Eine WM, sagte sie, hätte sie vielleicht ausfallen lassen, um gegen den russischen Vorstoß auf der Krim zu protestieren. Aber die Paralympics? Diese seltene Möglichkeit, sich der Welt vorzustellen? Darauf wolle sie nicht verzichten. Zu hart habe sie für die Spiele in Sotschi gearbeitet.

Andrea Eskau, 42, geboren in Thüringen, hat den deutschen Behindertensport um eine bemerkenswerte Note bereichert. Am Samstag gewann sie das erste Gold für ihre Mannschaft, im Biathlon auf dem Skischlitten über 6 Kilometer. Eskau hat schon bei den Sommer-Paralympics in Peking und London drei Siege auf dem Handbike errungen.

Der Behindertensport ist in den vergangenen Jahren gewachsen, sportlich, wirtschaftlich, medial. In Russland erhalten paralympische Sieger eine Prämie von 81.000 Euro, in Großbritannien fließen viele Millionen aus Lotteriemittel in das Team. Die Leistungssportler aus Deutschland werden hauptsächlich aus Steuermitteln finanziert. In diesem Jahr kassieren deutsche Paralympics-Sieger erstmals die gleiche Prämienhöhe wie ihre olympischen Kollegen: 20.000 Euro von der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Für Andrea Eskau ist das ein nettes Zubrot, denn ihre Leidenschaft ist nicht die günstigste.

Ihr Karbon-Schlitten ist so teuer wie ein Kleinwagen. Um ihr Gerät zu entwickeln, fragt sie bei Orthopädie-Experten und Autobauern in Köln nach, die Erfahrungen in der Formel 1 gesammelt haben. „Ich möchte nichts dem Zufall überlassen“, sagt sie. „Ein schlechter Schlitten kann den Sieg kosten.“ Insgesamt geht Eskau in Sotschi in sieben Wettbewerben an den Start. Ihren zweiten Auftritt, im Langlauf über 12 Kilometer, musste sie am Sonntag wegen Atemproblemen abbrechen.

13 deutsche Athleten sind in Sotschi, keiner von ihnen kann mit Sport den Lebensunterhalt bestreiten. Die Diplompsychologin Eskau ist beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Bisp) in Bonn beschäftigt, sie verantwortet das Fachgebiet Behindertensport. Ihr Kollege im Beruf ist ihr Kollege im Sport: Karl Quade, Experte für Biomechanik und seit 1996 Chef de Mission der deutschen Paralympier, ist stellvertretender Institutsdirektor.

Karl Quade hat daran mitgewirkt, dass inzwischen 14 Paralympier aus Sommer- und Wintersportarten im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Eine Aufnahme in die Sportfördergruppe der Bundeswehr ist für die Behindertensportler nicht möglich, ihnen kann der Soldatenstatus nicht erteilt werden. Dennoch ist der Deutsche Behindertensportverband (DBS) vor Kurzem eine Kooperation mit der Bundeswehr eingegangen, sie sieht finanzielle und materielle Unterstützung vor, dafür übernehmen die Sportler repräsentative Aufgaben. Bei den Winterspielen profitiert nur der blinde Biathlet Willi Brem von dieser Zusammenarbeit.

Mit 27 Jahren hatte Andrea Eskau einen Fahrradsturz, sie schlug mit ihrer Wirbelsäule auf einem Bordstein auf, seitdem ist sie querschnittsgelähmt. Sie war davor sehr sportlich und sie ist danach sehr sportlich geblieben, hat Medaillen gewonnen in Sommer und Winter. Sie könnte die deutsche Paralympics-Reise sportlich prägen. Und vielleicht auch politisch. Andrea Eskau lebt mit einer Frau zusammen. Sie macht daraus keine große Sache. Aber in Russland, unter der homophoben Gesetzgebung Putins, hat sie nichts dagegen, wenn es für andere eine große Sache ist. RONNY BLASCHKE