Die Zukunft wird indisch

In der Reportage „Indien – unaufhaltsam“ (1. Teil: 22.45 Uhr, ZDF) zeigt Claus Kleber ein Land voller Widersprüche

„Die Amerikaner haben Angst vor euch“, erklärt der Professor seinen Informatik-Studenten im südindischen Bangalore. Die künftigen Software-Ingenieure stehen unter großem Leistungsdruck, doch haben sie die Worte ihres Professors verinnerlicht und sehen sich als Gewinner der Globalisierung. „China hat Arbeiter, wir haben Denker“, sagt einer, dem die Welt von morgen gehört. „Hier wartet niemand mehr auf eine Greencard aus Deutschland“, lautet die Erkenntnis von Claus Kleber beim Besuch des indischen Elite-Campus.

Der Anchorman des „heute-journals“ hat zusammen mit Angela Andersen eine zweiteilige Reisereportage verfasst, die das ZDF heute um 22.45 Uhr und morgen um 22.15 Uhr zeigt. Sie bleiben zum Glück nicht bei der bekannten IT-Industrie stehen, sondern zeigen, dass das überbordende Selbstbewusstsein von Indiens Ober- und Mittelschicht längst auch andere Bereiche erfasst hat. Trotzdem geht der Boom an vielen Indern vorbei.

Kleber und sein Team sprechen auch mit Arbeitern, die für Hungerlöhne IT-Paläste hochziehen, und besuchen Regionen in Zentralindien, wo überschuldete Baumwollbauern nur den Selbstmord als Ausweg sehen. So oft die Darstellung des schnellen Wandels und Wachstums bei den deutschen Zuschauern Staunen auslösen dürfte, so geht auch die Verzweiflung einer verarmten Großmutter über den Selbstmord ihres bäuerlichen Sohnes unter die Haut. Indiens Gegensätze sind verdammt krass, und zum Glück räumt Kleber, der immer wieder selbst in Szene gesetzt wird, ein, dass er diese Widersprüche nicht immer aufklären kann.

Die Stärke des Films ist es, dem deutschen TV-Publikum nahe zu bringen, was sich auf dem Subkontinent rasant ändert und auch uns betreffen wird – etwa der Medizintourismus. So wird eine Amerikanerin gezeigt, die sich in Indien operieren lässt, was sie sich zu Hause nicht leisten kann. Zahlen deutsche Krankenversicherungen künftig nur noch preiswerte Behandlungen in Indien?, fragt Kleber.

Die Schwäche ist eine unklare Gliederung beider Teile, ein Übergewicht von Bombay-Szenen auf Kosten der Ausklammerung des gesamten Ostens sowie das Fehlen sozialer Bewegungen, die an einem Ausgleich zwischen Indiens starken Widersprüchen arbeiten. SVEN HANSEN