Tauschen, bis der Richter kommt

Kopieren von Musik und Filmen über Internet-Tauschbörsen ist zum Volkssport geworden. Bis zu 10 Millionen Teilnehmer soll es allein in Deutschland geben. Wer dabei Urheberrechte verletzt, muss mit Strafen rechnen. Doch die Verfolgung der Internet-Tauscher ist technisch schwierig – wer sich auskennt, kommt davon

VON TARIK AHMIA

Den Knast gibt es auf der Internationalen Funkausstellung schon heute zum Probesitzen: auf dem Freigelände der Berliner Messe hat die deutsche Filmwirtschaft eine Gefängniszelle für Raubkopierer aufgebaut. Freiwillige sollen darin fünf Minuten lang spüren, wie sich ein „verurteilter Raubkopierer“ fühlt. Das Minigefängnis ist Teil einer Kampagne der deutschen Filmwirtschaft, die vor allem auf Einschüchterung setzt: „Raubkopierer sind Verbrecher“ heißt das Motto, verbunden mit der Drohung, dass diese mit „bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft“ werden.

Mit der Wirklichkeit haben die Sprüche jedoch nicht viel zu tun. „Die Kampagne ist maßlos übertrieben“, sagt der Anwalt Robert Leisner, zu dessen Klienten mutmaßliche Raubkopierer zählen. Tatsächlich wurde in Deutschland noch kein privater Konsument, der CDs oder DVDs rechtswidrig verbreitet hat, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Die Film- und Musikindustrie treibt die schiere Verzweiflung, seitdem die neusten Hollywood-Blockbuster und Musik-CDs in Originalqualität digital von den Konsumenten millionenfach kopiert werden. Die Medienkonzerne sehen sich und ihre Einnahmen dadurch existenziell bedroht. Zu schaffen macht ihnen auch, dass das deutsche Urheberrecht die Verbreitung von Kopien im privaten Umfeld gestattet.

In jüngster Zeit sind sogenannte Internet-Tauschbörsen in das Fadenkreuz der Film- und Musikkonzerne geraten. Gefördert von der sprunghaften Verbreitung schneller DSL-Leitungen tauschen immer mehr Internetnutzer Musik, Software und Filme über diese Tauschnetze. Schon heute surfen etwa 28 Millionen Deutsche über das sogenannte breitbandige Internet. „Etwa 10 Millionen Deutsche nutzen diese Kopierbörsen“, schätzt Oliver Moldenhauer vom Fairsharing-Netzwerk, das sich gegen die Kriminalisierung privater Internet-Tauschbörsen einsetzt. Die Popularität des rechtlich unkontrollierten Dateitausches ist deutlich messbar: nach einer Studie der ipoque GmbH verursacht das sogenannte Filesharing in Deutschland tagsüber etwa die Hälfte des gesamten Internet-Verkehrs, nachts sind es gar 80 Prozent.

EDonkey, BitTorrent, Gnutella, oder Kazaa heißen einige der kostenlosen Dienste, über die die Nutzer oft ohne Rücksicht auf Urheberrechte millionenfach Filme, Musik und Software kopieren. Allein über den Dienst BitTorrent wurden nach Messungen der Anti-Piraterie-Firma P4M der Blockbuster „Ice Age 2“ innerhalb von drei Wochen 383.035-mal kopiert. Die Tauschbörsen deshalb als Hort der Piraterie zu verdammen ist jedoch unzulässig und rechtlich falsch.

„Internet-Tauschbörsen per se sind vollkommen legal“, sagt der auf IT-Recht spezialisierte Rechtsanwalt Ralf Dietrich. Allerdings kommt es darauf an, was getauscht wird: Open-Source-Programme oder selbst verfasste Musik oder Texte dürfen ohne Einschränkungen verbreitet werden. Verboten ist aber das Anbieten von Inhalten, die urheberrechtlich geschützt sind.

Der potenzielle Rechtsbruch ist für die Nutzer verlockend einfach: Ein kleines Programm wie Emule oder Kazaa wird heruntergeladen und installiert. Nach dem Start des Programms gibt man seinen Wunsch in ein Suchfeld ein, und augenblicklich taucht eine Liste verfügbarer Quellen auf. Ein Klick auf eines der Suchergebnisse startet den Download. Minuten später – bei Kinofilmen können es auch Stunden sein – befindet sich die Datei auf der eigenen Festplatte.

Gegen den dabei massenhaft verübten Bruch des Urheberrechtes ist die Medienindustrie in letzter Zeit mit spektakulären Aktionen vorgegangen. Im vergangenen Jahr musste die Staatsanwaltschaft Karlsruhe allein von einer Kanzlei nicht weniger als 40.000 Anzeigen gegen Internet-Filesharer bearbeiten. Ende Mai leitete die Staatsanwaltschaft Köln 3.500 Strafverfahren gegen Nutzer der Tauschbörse Edonkey ein – begleitet von 130 Hausdurchsuchungen. „Erst in den letzten Tagen sind wieder kistenweise Anzeigen reingekommen“, sagt Rainer Bogs von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Die strafrechtlichen Folgen sind jedoch meist glimpflich. „Die allermeisten Verfahren werden eingestellt“, sagt Staatsanwalt Bogs. Für die Ermittlungen ist vor allem relevant, wie viele Dateien auf einem PC anderen Filesharern zum Tausch zugänglich sind: bei weniger als 100 Dateien werden die Verfahren meist eingestellt. Sind es bis zu 500 Dateien, befragt die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten. Bei mehr als 500 Dateien wird ermittelt, es drohen Strafbefehle und Hausdurchsuchungen. Solche Strafen sind jedoch noch selten. So verurteilte das Amtsgericht Cottbus vor zwei Jahren einen 23-jährigen Auszubildenden zu einer Geldstrafe von 400 Euro. Richtig teuer können jedoch die zivilrechtlichen Ansprüche der Rechteinhaber werden. Im Cottbusser Fall wurden 8.500 Euro Schadenersatz an die Plattenindustrie fällig.

Zum Verhängnis wird den Beschuldigten meist das trügerische Gefühl, im Internet anonym zu surfen. Doch spurenloses Surfen ist nur selten möglich. Denn mit jeder Internet-Einwahl wird einem PC eine weltweit einmalige Identitätsnummer von seinem Provider zugeteilt. Die sogenannte IP-Adresse erlaubt es, Anschlussinhaber bei Rechtsverstößen nachträglich zu identifizieren. Allerdings ist dieses Vorgehen heftig umstritten. Denn mit dem Anschlussinhaber ist noch lange nicht der tatsächliche Täter gerichtsfest überführt. Wenn sich etwa eine Wohngemeinschaft einen Internet-Anschluss teilt, ist der Nachweis schwierig. Außerdem dürften die IP-Adressen von vielen Internetnutzern gar nicht gespeichert werden. „Alle Provider sind gesetzlich verpflichtet, die IP-Daten der Flatrate-Kunden unmittelbar zu löschen“, sagt Rechtsanwalt Jan Mönikes, der ein großes deutsches Telekommunikationsunternehmen berät. Gespeichert werden dürfen nur Daten, die zur Abrechnung eines Anschlusses unverzichtbar sind, so schreibt es das Telekommunikationsgesetz vor. Einzelne Verbindungsdaten sind für die Abrechnung von Monatspauschalen nicht nötig. Viele Provider halten sich trotzdem nicht daran.

Anti-Piraterie-Firmen wie die Schweizer Logistep oder die deutsche Pro Media gründen darauf ihr Geschäftsmodell. Sie durchforsten im Auftrag von Rechteinhabern Internet-Tauschbörsen nach urheberrechtlich geschützter Musik, Filmen oder Computerprogrammen und kümmern sich um die rechtliche Verfolgung. Identifiziert die vollautomatische Schnüffelsoftware einen Verstoß, erstattet Logistep Strafanzeige und übergibt die verdächtigen IP-Adressen der Staatsanwaltschaft. Nur diese ist berechtigt, vom Provider die Identität des Anschlussinhabers hinter der IP-Adresse zu erfahren. Ist die Person ermittelt, haben damit auch die Anwälte der Rechteinhaber Namen und Adresse, an die sie die Unterlassungserklärung samt Rechnung schicken können. „Mittlerweile haben wir vor allem in Italien, Polen und Deutschland über 100.000 Anzeigen erstattet“, sagt Richard Martin Schneider von Logistep.

Mit angedrohten Schadenersatzansprüchen haben einige Anwaltskanzleien mittlerweile ein lukratives Geschäft entdeckt. Sie verschicken tausendfach Abmahnungen an vermeintliche Rechteverletzer. Mit der Aufforderung, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, werden meist einige hundert Euro Anwaltskosten in Rechnung gestellt. Eine wunderbare Geldmaschine für die Kanzleien. „Da wird viel geblufft und auf die Unerfahrenheit der Nutzer gesetzt“, sagt Ralf Dietrich. Der IT-Anwalt rät Betroffenen, in keinem Fall blind zu bezahlen. „Wer eine Abmahnung mit Zahlungsaufforderung erhält, sollte sich rechtlich beraten lassen.“ Kompetente Anwälte sind oft über die einschlägigen juristischen Verbände zu finden. Dazu gehören etwa die Gesellschaft für Recht und Informatik (DGRI) in Karlsruhe oder die Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) in Köln. Vorsorglich kann man sich aber auch gegen mögliche Forderungen versichern: unter www.tankafritt.nu gibt es für 15 Euro Jahresbeitrag eine europaweite Filesharer-Police. Sie soll alle Bußgelder decken, wenn ein Filesharer zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt wird.

Neue technische Lösungen sorgen auch für mehr Sicherheit beim Surfen. So genannte Anonymisierungsdienste verwischen alle Spuren. Sie funktionieren meist nach dem „Stille Post“-Prinzip: Zwischen Absender und Adressaten einer Internet-Kommunikation werden so viele anonyme Server geschaltet, dass sich der Absender nicht mehr ermitteln lässt. „TOR“ und „AN.ON“ heißen die populärsten Programme, die das kostenlos erledigen. Nachteil: Durch die Zwischenstationen verlangsamt sich der Datenfluss. Neuerdings gibt es auch den Dienst Relakks, der für 5 Euro im Monat Anonymität bei voller Geschwindigkeit verspricht. Langfristig könnte das Projekt „freenet“ (nicht zu verwechseln mit dem deutschen Provider!) das Ende strafrechtlicher Verfolgung herbeiführen. Die Tauschbörse ist als Projekt gegen Zensur gedacht und funktioniert vollkommen verschlüsselt – Anonymität ist garantiert.