„Hitchcocks Film ist reine Fantasie“

Heimgesucht von einer Möwenplage fühlen sich Einwohner und Urlauber auf der Insel Sylt. Der Vogelkundler Michael Exo hält das für übertrieben. Die Zahl der Tiere gehe seit Jahren zurück, und Angriffe auf Menschen kämen nie vor

„Die Vögel schreien die ganze Nacht in Scharen und attackieren morgens die Menschen beim Frühstück auf ihren Balkonen“, sagt Petra Reiber, Bürgermeisterin von Westerland auf Sylt. Nach ihrer Beobachtung gibt es dieses Jahr so viele Tiere wie nie: „Wer sie am Strand füttert, auf den fliegen mehrere hundert Möwen zu. Das ist absolut gefährlich.“

taz: Herr Exo, warum greifen die Möwen Menschen an?

Michael Exo: Tun sie doch gar nicht. Sie kommen höchstens im Sturzflug runter und schnappen uns die Pommes aus der Hand. Das ist kein Angriff, sondern Futtergewohnheiten.

Und wenn die Vögel ihr Gelege verteidigen, wird es dann gefährlich?

Dann attackieren Möwen manchmal auch Menschen. Gefährlich ist das aber nicht, nur unangenehm. Die Vögel fliegen dabei tief über den vermeintlichen Angreifer hinweg und lassen ihre Beine gegen seinen Kopf schlagen. Vielleicht fällt dabei ein bisschen Kot. Gezielte Angriffe mit dem Schnabel kommen nur bei der Raubmöwe vor, und die wohnt in der Arktis.

Wie wird man Möwen los, die sich in Innenstädten eingenistet haben?

Gar nicht. Wer die Eier von den Dächern aufsammelt, reduziert damit nicht den Bestand. Wenn es weniger Jungtiere gibt, haben diese eine größere Chance auszuwachsen. Dann gibt es am Ende nur noch mehr Möwen.

Warum kommen die Vögel eigentlich in die Innenstädte?

Weil es dort viel Futter gibt. Außerdem sieht ein mit Kies belegtes Flachdach für Möwen wie eine Düne aus. Nur die Straßenbeleuchtung bringt die Tiere durcheinander. Möwen sind eigentlich nicht nachtaktiv. Doch wenn niemand das Licht ausmacht, schreien sie auch nachts.

Kann man von einer „Möwenplage“ sprechen?

Nein, denn der Bestand der hier lebenden Silbermöwen nimmt schon seit mehreren Jahren ab. Weil die Fischerei zurück geht, fällt nicht mehr soviel Beifang als Futter an. Zudem werden viele Müllkippen, wichtige Nahrungsquellen für Möwen, geschlossen. Gerade auf Sylt gehen wir von nur rund 500 Paaren aus.

Also besteht kein Grund zur Sorge?

Angst vor Möwen ist überflüssig. Hitchcocks Thriller ist reine Fantasie. Interview: SILKE BIGALKE