Bilder einer Bewegung

NEUE FRAUEN, FRÜHES KINO Das Zeughauskino präsentiert die Filmreihe „Frühe Interventionen“, die den Suffragetten im Kino des frühen 20. Jahrhunderts nachspürt

Am meisten fasziniert an dieser Filmreihe der Esprit des Neuen und Lebendigen: Vor dem Ersten Weltkrieg stecken sowohl das Kino als auch die Frauenbewegung noch in den Kinderschuhen

VON JETTE GINDNER

„Lies nicht, sondern arbeite!“ Mit diesen Worten drückt die Mutter Lea ihr Strickzeug in die Hand und verlässt mit ihrem Mann das Haus. Widerwillig beginnt die junge Lea mit ihrer Handarbeit, nach kurzer Zeit aber gleitet ihr das Wollknäuel aus der Hand und ist verschwunden. Leas panische Suche nach dem Knäuel verwandelt sich in einen Ausbruch von Zerstörungswut. Die Eltern, die bei ihrer Heimkehr über umgeworfene Möbel und die aufgetürmten Inhalte der von Lea herausgerissenen Schubladen steigen müssen, kommen schnell mit Lea überein: „Es ist besser, du liest.“

Der amüsant-anarchische Kurzfilm „Lea e il gomitolo“ (Italien 1913) ist einer der fast 80 Filme, die bis Montag im Zeughauskino Berlin laufen. Die Kuratorinnen der Reihe „Frühe Interventionen“, Madeleine Bernstorff und Mariann Lewinsky, haben nicht nur filmische Raritäten aus den Jahren 1900 bis 1914 aus europäischen Archiven herbeigeschafft, sondern auch für fachkundige Einleitungen und prominente musikalische Begleitung der Stummfilme gesorgt.

Am meisten fasziniert an dieser Filmreihe der Esprit des Neuen und Lebendigen: Vor dem Ersten Weltkrieg stecken sowohl das Kino als auch die Frauenbewegung noch in den Kinderschuhen. Das neue Massenmedium Film bringt die Aktionen der Suffragetten in Kurzfilmen, Spielfilmen und Wochenschauen einem breiten Publikum nahe. Notwendigerweise wird dabei kräftig experimentiert – mit den neuen Möglichkeiten des Mediums ebenso wie mit einem neuen Frauenbild.

Frauen fordern Wahlrecht

Anfang des 20. Jahrhunderts fordern Frauen fast überall in Europa das Wahlrecht. Nur in Großbritannien und den USA formieren sich die Suffragetten jedoch zu einer echten Massenbewegung. Nachdem ihre Straßenproteste mit Polizeigewalt niedergeschlagen worden sind, machen die Suffragetten mit Hungerstreiks, Störaktionen und schließlich Brandanschlägen auf sich aufmerksam – Sherlock-Holmes-Erfinder Conan Doyle bezeichnet sie 1913 öffentlich als „female hooligans“. Trotz ihrer anarchischen Methoden sind die Suffragetten straff von oben nach unten organisiert. Ihre paramilitärischen Aufmärsche unter den Bannern „Votes for Women“ und „Taxation without representation is tyranny“ sind in den alten Pathé-Wochenschauen zu bewundern.

Der besondere Geist der Suffragettenbewegung findet sich auch in den Spielfilmen, zum Beispiel im Sujet des radikalisierten Dienstmädchens. „Cunégonde reçoit sa famille“ (Frankreich 1912) ist so eine Komödie: Während die Herrschaft verreist ist, bekommt das Dienstmädchen Besuch von seiner (Arbeiter-)Familie. Gemeinsam putzen Vater, Mutter und Tochter das Haus solange, bis es komplett unter Wasser steht und von dem bürgerlichen Porzellan kein Stück mehr heile ist. Crossdressing ist ein anderes, auch heute in der gequeerten Frauenbewegung ständig präsentes Thema: Junge Frauen schlüpfen in Hosen und verstecken ihre Haare unter Hüten, um wie in „Tilly in a Boarding House“ (Großbritannien 1911) ihre spießige Umgebung aufzumischen. In „Bobby bei den Frauenrechtlerinnen“ (Deutschland 1911) nimmt ein Mann als Frau verkleidet an einer Suffragettenversammlung teil, bis seine Maskerade auffliegt.

Vom Ehemann verhaftet

Die Filmreihe im Zeughauskino zeigt auch Anti-Suffragetten-Filme wie „Pickpocket“ (USA 1913): Ein gut genährter Ehemann lässt darin seine Frau, die ihn vor lauter Politaktivismus nicht mehr anständig bekocht, unter einem Trick verhaften. Sie erleidet im Gefängnis einen hysterischen Anfall; um freizukommen, wird sie zum Austritt aus dem Suffragettenclub erpresst. Im medizinischen Lehrfilm „La Neuropatologia“ (Italien 1908) ist natürlich weibliche Hysterie das zentrale Thema.

Das vielleicht erste Sexsymbol der Filmgeschichte, Asta Nielsen, widerlegt im Langspielfilm „Die Suffragette“ (Deutschland 1913) das (offensichtlich schon vor den lila Latzhosen) virulente Vorurteil, Engagement in der Frauenbewegung mache „unweiblich“. Die wallend-blonde Schönheit sieht noch im Gefängniskleid so glamourös wie spätere Hollywood-Stars in Abendrobe aus und verliert ihre überlegene Eleganz auch dann nicht, als sie im Gefängnis durch einen Schlauch wie eine Stopfente zwangsernährt werden soll. Das Melodram macht überdeutlich, wie viel Schönheit in den Schlammschlachten um weibliche Selbstbestimmung zählt.

■ Vom 23. bis 27. September im Zeughauskino, Programm unter: www.dhm.de/kino/