Niemand will den Konflikt mit Moskau

BALTIKUM Die Verantwortlichen in Estland, Lettland und Litauen reagieren besonnen und sachlich auf die Krise in der Ukraine

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Deutschland teile „die Sorgen unserer baltischen Partner“ und nehme sie „sehr ernst“. Das war die offizielle Botschaft, die Frank-Walter Steinmeier am Dienstag bei einem Blitzbesuch in Tallinn, Riga und Vilnius im Gepäck hatte. Falls seine Mission auch gewesen sein sollte, die dortigen Regierungen beruhigen zu wollen, rannte er damit offene Türen ein.

Da mögen zwar manche Medien in allen drei baltischen Staaten kräftig Ängste schüren, ein aggressives Russland könne es auch auf die drei ehemaligen Sowjetrepubliken an der Ostsee abgesehen haben. Und es gibt sicher viele Menschen in diesen Ländern, die wirklich besorgt sind. Doch so ähnlich, wie es Estlands Ministerpräsident Andrus Ansip schon vor einigen Tagen formulierte, lauteten bisher auch die meisten amtlichen Stellungnahmen aus Litauen und Lettland: „Wir sind Mitglied von Nato und Europäischer Union, sind nicht militärisch bedroht und haben keinen Grund zur Unruhe.“

In diesem Chor maßvoller Reaktionen hatte es in den letzten Tagen eigentlich nur eine Ausnahme gegeben: die von Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaité. Die äußerte, Russland wolle in ganz Osteuropa die „Grenzen neu ziehen“: Erst in der Ukraine, dann in Moldawien – und schließlich könnte es auch die baltischen Staaten und Polen treffen. Doch die Worte der konservativen „Iron Lady“ des Baltikums sollte man nicht auf die Goldwaage legen: Grybauskaité befindet sich im Wahlkampfmodus. In zwei Monaten möchte sie sich von den LitauerInnen für eine weitere Amtsperiode wählen lassen. Und glaubt offenbar, dabei mit schrillen Tönen punkten zu können.

Mittlerweile ist Grybauskaité auch schon wieder ein Stück zurückgerudert: „Natürlich“ stehe das ganze Baltikum unter der „realen Verteidigungsgarantie“ der westlichen Militärallianz. Doch brach sie gleich eine neue innenpolitische Kontroverse los und versuchte der ihr missliebigen Linkskoalition in Vilnius und ihren linken Mitkonkurrenten um das Präsidentenamt eins auszuwischen und diese als eine Art „vaterlandslose Gesellen“ darzustellen: Sie habe „Veranlassung anzunehmen“, dass die zur Regierung gehörende „Arbeitspartei“ unter Einfluss des Kreml stehe, und werde deren Repräsentanten folglich nicht mehr zu Treffen über Nato- und Verteidigungsfragen einladen.

Der Vorwurf gegenüber der russischstämmigen Bevölkerung und den ihr nahestehenden Parteien, eine Art „fünfte Kolonne“ Moskaus zu sein, ist eine von nationalistischen PolitikerInnen immer wieder gern ausgespielte Karte. Und könnte diese Gruppe, deren Anteil bei 6 (Litauen) bzw. 26 Prozent (Estland und Lettland) liegt, nicht tatsächlich ein Potential für soziale oder politische Unruhe oder ein Hebel für Destabilisierungsversuche sein? Schließlich ist deren Integration auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion mangelhaft und russische Politiker beschweren sich regelmäßig darüber, dass „unsere Landsleute“ diskriminiert würden.

Solche Befürchtungen übersehen allerdings, dass die Loyalität der großen Mehrheit der ethnischen Russen im Baltikum zu Russland nicht annähernd mit der der russischen Bevölkerung auf der Krim vergleichbar ist. Wenn es in Litauen, Lettland und Estland eine „russische Schwachstelle“ gibt, dann sind es die umfassenden Handelsbeziehungen zu Russland und die Abhängigkeit auf dem Energiesektor, vor allem, was die Erdgaslieferungen angeht.

Der deutsche Außenminister dürfte deshalb am Dienstag auch bei einem anderen Gesprächsthema auf wenig Dissens zur Haltung Berlins gestoßen sein: Im Baltikum hat man kein Interesse daran, dass der Konflikt mit Moskau eskaliert. Und Dalia Grybauskaité will zwar eine „entschlossene Reaktion“ – doch auch sie hielt sich mit bei der Forderung nach wirtschaftlichen Sanktionen bislang zurück. Sie weiß nur zu gut, dass diese keine Einbahnstraße wäre.