„Was ich mache, kann jeder“

„Ganze Familien sind vom Krieg geprägt, alle krank, alle traumatisiert“

INTERVIEW SUSANNE GANNOTT

taz: Frau Biesewinkel, warum kümmern Sie sich speziell um Roma? Haben die es schwerer als andere Flüchtlinge?

Iris Biesewinkel: Ich denke, dass es Roma in der Tat schwerer haben. Sie werden immer noch unter dem Stichwort „Zigeuner“ gehandelt. Es gibt riesige Ressentiments und Diskriminierungen – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Kein Land sagt, das sind unsere Bürger, sie sind uns willkommen.

Haben auch deutsche Behörden besondere Vorurteile gegenüber dieser Gruppe?

Mir fehlt der Vergleich, weil ich es fast nur mit Roma zu tun habe. Aber ich denke, dass es deutschen Behörden schwer fällt zu begreifen, dass Roma in einer besonderen Situation sind, weil sie nirgendwo erwünscht sind – und dass sie deshalb im Laufe der Generationen bestimmte Überlebensstrategien entwickelt haben.

Zum Beispiel klauen? In den Medien kommen Roma ja oft in diesem Zusammenhang vor.

Ja, zum Beispiel. Das gibt es manchmal – als Überlebensstrategie, wie gesagt. Oft wird auch nicht begriffen, dass in manchen Familien – wirklich nicht in allen – bestimmte Dinge wie Schulbesuch, die in unserer Gesellschaft erwartet werden, schwierig sind, weil die Menschen seit Generationen auf der Flucht sind. Das gibt natürlich Konflikte.

Den Roma-Kindern hilft der Rom e.V. mit der Roma-Schule, die sie auf den normalen Schulbesuch vorbereitet. Wie können Sie den Erwachsenen helfen, die keine Schule besucht und keinen Beruf gelernt haben?

Zum einen müssen sie es wollen, dann kann ich versuchen, in Sprachkurse zu vermitteln. Es gibt schon Möglichkeiten. Aber es ist schwierig, denn die Leute haben alle nur eine Duldung und bekommen nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das heißt, sie haben auch kein Anrecht auf einen Sprachkurs – ob sie nun zehn, 15 oder 20 Jahre hier sind. Sie müssen in der Regel alles selber bezahlen. Und das von einem Geldbetrag, der ohnehin unter dem Existenzminimum liegt. Deswegen überlegen sie sich natürlich 25 Mal, ob sie Geld für einen Sprachkurs ausgeben können oder nicht.

Viele haben ja auch keine Erlaubnis zu arbeiten.

Genau. Die meisten haben keine Arbeitserlaubnis. Sogar Leute, die einen Job gefunden haben und eine Erlaubnis beantragen, bekommen die oft nicht.

Im Moment wird viel über eine Bleiberechtsregelung für lange hier lebende Flüchtlinge diskutiert. Andere Bundesländer haben im Vorgriff darauf einen Abschiebestopp verhängt. NRW allerdings nicht.

Nein, NRW hat sich da als Bundesland überhaupt nicht positioniert. Die fahren einfach dieselbe harte Linie wie immer. Aber die Kommunen können ja trotzdem etwas machen, wie die Stadt Mülheim an der Ruhr gezeigt hat. Die hat sich in eigener Regie dazu entschlossen nicht abzuschieben – solange bis eine bundesweite Entscheidung gefallen ist. Es geht also, wenn man nur will.

Am Dienstag findet in Essen eine NRW-Flüchtlingskonferenz zu Bleiberecht statt. Haben Sie Hoffnung, dass sie den nordrhein-westfälischen Innenminister umstimmen können?

Wenn Ingo Wolf sich mal genau ansieht, in welche so genannten Herkunftsländer langzeitgeduldete Flüchtlinge abgeschoben werden, dann ist er bestimmt umzustimmen. Aber wenn er seinen Entschluss schon im Kopf hat, dann nicht. Das wird auch davon abhängen, wie kraftvoll die Konferenz ist, und welche Flüchtlingsinitiativen und Beratungsstellen vertreten sind.

Kämpfen die Flüchtlinge auch selbst für ihr Bleiberecht – oder sind das nur die deutschen „Gutmenschen“, die sich für sie einsetzen?

Die Flüchtlinge sind zum Teil auch organisiert und bei Konferenzen wie der in Essen normalerweise vertreten. Genauso bei Aktionen gegen Abschiebungen, etwa am Düsseldorfer Flughafen. Das haben wir schon oft mit Betroffenen gemeinsam gemacht.

Wenn das klappt mit dem Bleiberecht: Was müsste passieren, damit sich die Flüchtlinge hier integrieren können?

Zuallererst müsste es eine Bleiberechtsregelung sein, die realistisch ist. Die Ankündigung, die Leute bekommen ein Bleiberecht, wenn sie mindestens sechs Jahre hier sind und davon die letzten zwei Jahre gearbeitet haben, ist eine Farce. Auch die Forderung, dass sie ab sofort ihren Lebensunterhalt alleine verdienen müssen, ist illusorisch. Dann bekommt so gut wie niemand ein Bleiberecht – und das betrifft nicht nur Roma, sondern alle Flüchtlinge. Darüber hinaus finde ich es wichtig, Berührungspunkte zu schaffen zwischen Roma und Nicht-Roma.

Was meinen Sie?

Es ist an der Zeit, dass man sich in Deutschland damit beschäftigt, dass wir eine – wenn auch nicht sehr schöne – intensive gemeinsame Geschichte haben mit Roma und auch mit Sinti. Roma sind hier genauso wie Juden verfolgt und vernichtet worden. Und die Leute, die jetzt hier sind, also Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, haben die Repressionen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg auch in Jugoslawien kennen gelernt. Das weiß hier nur niemand mehr. Aber wenn man von Integration spricht, dann hat das zwei Seiten. Wenn wir erwarten, dass die Leute, die hierher kommen, sich mit uns auseinander setzen, dann muss sich die Mehrheitsgesellschaft auch mit den Migranten auseinander setzen. Besonders mit den Punkten, an denen sich die Kulturen und Gesellschaften – etwa in der Geschichte – berühren.

Sie meinen, dass sich aus der Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus heute für die Nachfahren der Opfer ein Bleiberecht ableitet?

Ja, ich denke schon. Es ist noch nicht lange her, dass erstmals anerkannt wurde, dass Sinti und Roma zum Kreis der Verfolgten des Nazi-Regimes gehörten. Und sie sind zum größten Teil nie entschädigt worden, ihre Verfolgung ist nie angemessen gewürdigt worden. Dabei sind jetzt noch Zeitzeugen hier, deren Familienangehörige im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen umgebracht wurden – und die in den 90ern mit Kindern und Enkeln vor den Jugoslawienkriegen nach Deutschland geflohen sind. Ganze Familien sind vom Krieg geprägt, alle krank, alle traumatisiert. Aber das interessiert hier keinen.

Wenn Sie den taz-Panterpreis gewinnen: Was machen Sie mit dem Geld?

Ich fahre im Oktober nach Jugoslawien und wir wollen die Reise filmisch dokumentieren, um damit hier weiter Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Außerdem planen wir ein Projekt, bei dem wir im ehemaligen Jugoslawien nach Orten suchen, an denen jugoslawische, Roma- und deutsche Geschichte im Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat. Das wollen wir aufarbeiten gemeinsam mit Roma und Deutschen. Aber ich würde auch gerne noch was sagen zum taz-Panterpreis.

Ja gerne, was denn?

Da geht‘s ja um die „Helden“ und „Heldinnen“ des Alltags. Und das ist mir die ganze Zeit schon aufgestoßen. Die Idee, Zivilcourage und persönliches Engagement zu würdigen, ist gut und wichtig. Aber der Titel könnte vermitteln, dass die Helden und Heldinnen es schon machen, und man selber sich nicht mehr verantwortlich fühlen muss.

Sie wollen keine Heldin sein?

Nein. Denn ich glaube, was ich mache, kann eigentlich jeder tun.