Kein Kotau vor der Macht

Lieber überwinterte sie, ohne zu wissen, wie lange diese Eiszeit noch anhalten würde

Im Jahr 2009 richtete die Berlinale die Reihe „Winter adé – Filmische Vorboten der Wende“ aus. Das Programm konzentrierte sich auf Werke aus der DDR und Osteuropa, mit denen das realsozialistische Selbstdarstellungsideal unterlaufen wurde. Als Beispiel für die CSSR wurde „Panelstory“ von Vera Chytilova gezeigt. Der Film erzählt die Geschichte eines alten Herrn, der seine Kinder und Enkel in einer Neubausiedlung besuchen will und dabei in eine groteske Odyssee der Geworfenheit gerät.

„Panelstory“, 1979 gedreht, wurde verboten und erst zwei Jahre später freigegeben. Bezeichnend war, dass sich Regisseurin Chytilova mit dem Werk eigentlich bewähren sollte. Nach der Zerschlagung des „Prager Frühlings“ war sie mit Berufsverbot belegt worden. Ein Kotau vor den Machthabern aber kam für sie nicht infrage. Nein, Kompromisse waren ihre Sache nicht; lieber überwinterte sie, ohne zu wissen, wie lange diese Eiszeit noch anhalten würde.

Chytilovas berühmteste Arbeit „Sedmikrasky“ („Tausendschönchen“) ist 1966 als vehementes Statement der Kompromisslosigkeit in die Geschichte eingegangen. Danach gab es für sie kein Zurück mehr. Hier werden die Zuschauer mit zwei Mädchen konfrontiert, die eine blond, die andere dunkel, beide tragen denselben Namen: Marie. Ihr fragwürdiges Tagwerk besteht im Müßiggang, dies jedoch bis zur letzten Konsequenz. Sie befinden sich unablässig in aufgekratzter Stimmung, kichern, provozieren, spielen mit Gesten zwischen Eleganz und Vulgarität.

Amos Vogel, der Chronist der filmischen Subversion, konstatierte: „Kein Werk aus dem Osten hat sich jemals weiter von der eintönigen Sterilität des Sozialistischen Realismus entfernt.“

Das Stakkato aus Handlungssplittern, Animationen und dokumentarischen Einschüben arbeitet mit experimentellen Stilmitteln, es ist märchenhaft, verspielt und völlig unberechenbar.

Die 1929 im heute tschechischen Ostrava geborene Vera Chytilova studierte zunächst Architektur, wurde 1957 gemeinsam mit Milos Forman an der legendären Filmhochschule Famu in Prag immatrikuliert. Gewachsene Arbeitsstrukturen waren ihr wichtig. Vielleicht kam deshalb das Exil für sie nicht in Betracht.

Am Mittwoch ist Vera Chytilova im Alter von 85 Jahren in Prag gestorben. Trotz ihrer gebrochenen Biografie hat die Regisseurin ein reiches Oeuvre hinterlassen, das seiner gebührenden Wahrnehmung harrt. CLAUS LÖSER