Achtung, Achtung! Spuren der Realität dringen ein

FERNSEHEN Beim „Politiker-Speed-Dating“ (ca. 16 Uhr, Phoenix) treffen Bürger auf ParlamentarierInnen

Die PolitikerInnen machen ihren Job recht gut, jedenfalls im Sinne ihrer Parteien

Diese Gestik! Die Finger werden sorgsam überkreuzt und dann die so verbundenen Hände in einem Abstand von etwa zwanzig Zentimetern vor dem Körper abgelegt. Irgendwo muss es einen Ort geben, an dem man sie lernen kann. Wahrscheinlich ist er hoch geheim und nur der sogenannten politischen Klasse zugänglich. Denn die beherrscht diese Geste. Perfekt. Von links bis rechts.

Überzeugen kann man sich davon beim „Politiker-Speed-Dating“ heute Abend auf Phoenix. Das Konzept: Sechs BürgerInnen treffen auf sechs Bundestagsabgeordnete, die ihnen sechs Minuten lang Rede und Antwort stehen. Danach wird gewechselt, bis sich jedes mögliche Paar einmal gegenübersaß.

Wer zuschaut, wird in der Fingergeste der PolitikerInnen das Prinzip der ganzen Sendung symbolisiert finden – in dieser Mischung aus Offenheit (die Hände sind ja nicht direkt vor dem Körper verschränkt) und Abwehr (die überkreuzten Finger wirken trotzdem recht hermetisch-stabil). Denn obwohl die Sendung eigentlich Gelegenheit geben soll, den Menschen hinter dem Abgeordneten kennenzulernen, wird ein offener Diskurs natürlich nur simuliert.

Dabei sind die Beteiligten wohlbedacht ausgewählt: Auf BürgerInnenseite ist von der rheinhessichen Vikarin über den ostdeutschen Unternehmer mit Guttenberg’schen Habitus bis zum afrodeutschen Antirassismustrainer mit „Berlin-Kreuzberg“-Kapuzenpullover alles dabei. Soziologen nennen so etwas wohl einen Querschnitt.

Die Abgeordneten stammen zwar aus allen sechs Bundestagsparteien, erscheinen aber ansonsten erschreckend homogen, nämlich zwischen 30 und 35 Jahre alt, einigermaßen telegen, und die Mehrzahl ist eher auf den Hinterbänken des Bundestags zu Hause. Von Tankred Schipanski (CDU), Daniela Kolbe (SPD), Sebastian Körber (FDP), Agnes Krumwiede (Grüne), Dorothee Bär (CSU) und Katja Kipping (Linke) haben nur die letzten beiden bedeutendere Jobs in ihren Parteien. Bär ist stellvertretende Generalsekretärin, Kipping Vizeparteivorsitzende.

Diese machen ihren Job auch recht gut – im Sinne ihrer Parteien jedenfalls. Sie finden das richtige Maß aus Offenheit und Floskelhaftigkeit. Das ist über weite Strecken sogar recht interessant, doch bei einer „Dating“-Sendung hätte man erwartet, dass es zwischendurch auch mal knistert. Stattdessen lässt sich gerade einmal beobachten, wie „Spuren der Realität in die Politik eingedrungen sind,“ so sagt es einer der Teilnehmer. Und hat leider recht.

JULIAN JOCHMARING